29.05.2008 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: § 1 Abs 6 Z 2 IESG idF BGBl I 102/2005 und Fortwirkung der Organtätigkeit ?

Da nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG idF BGBl I 102/2005 nur mehr "Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht, (...)" vom Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld ausgenommen werden, kann die Versagung von Insolvenz-Ausfallgeld nicht auf die Organstellung eines Vorstandsmitglieds, wohl aber auf das Fehlen der Arbeitnehmereigenschaft gestützt werden


Schlagworte: Sozialrecht, Insolvenz-Ausfallgeld, Fortwirkung der Organtätigkeit, Arbeitnehmereigenschaft
Gesetze:

§ 1 Abs 6 Z 2 IESG

GZ 8 ObS 27/07i, 16.01.2008

Die beklagte Partei vertritt unter Berufung auf Liebeg (aaO Rz 568 f) die Auffassung, dass die zu § 1 Abs 6 Z 2 aF IESG ergangene Rechtsprechung über die Fortwirkung der Organstellung weiterhin anzuwenden sei. Zeiten der mit einer Organmitgliedschaft verbundenen "Nichtarbeitnehmereigenschaft" iSd IESG seien weiterhin pauschal aus dem IESG ausgenommen und daher auch bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfang Insolvenz-Ausfallgeld für dienstzeitabhängige Ansprüche gebühre, außer Betracht zu lassen. Werde kurz vor Insolvenzeröffnung die "Nichtarbeitnehmereigenschaft" beendet und eine Arbeitnehmereigenschaft begründet, sei auch hier von einer insolvenzentgeltsicherungsrechtlichen "Fortwirkung" der Nichtarbeitnehmereigenschaft auszugehen.

OGH: Diese Ausführungen können nicht überzeugen. Die zur "Fortwirkung der Organtätigkeit" zu § 1 Abs 6 Z 2 aF IESG ergangene Judikatur geht vom Kernargument aus, dass im Fall der Abberufung eines Organmitglieds nicht von einer relevanten Neubegründung eines Angestelltenverhältnisses mit einer von der bisherigen Tätigkeit abgrenzbaren Arbeitsleistung gesprochen werden könne. Diese Argumentation geht grundsätzlich vom aufrechten Bestand eines (echten) Arbeitsverhältnisses auch während der Organtätigkeit aus. Die rechtliche Schlussfolgerung, dass die ausdrückliche Versagung des Bezugs von Insolvenz-Ausfallgeld für "Organmitglieder" nicht zwangsläufig bedeutet, dass dieser Ausschluss nur bis zur formellen Beendigung der Organtätigkeit wirkt, war somit nach der Rechtslage vor dem Insolvenzrechts-Änderungsgesetz 2005 iSd Vermeidung von Missbräuchen durchaus konsequent. Völlig anders stellt sich die vorliegende Situation dar. Die Klägerin war während ihrer Zeit als Vorstandsmitglied mangels "Arbeitnehmereigenschaft" iSd § 1 Abs 1 IESG, der ausdrücklich auf "Arbeitnehmer" abstellt, überhaupt nicht vom Regime dieses Gesetzes erfasst. Aus den Feststellungen ergibt sich nun, dass die Klägerin nach Beendigung der (mit einem Jahr befristeten) Vorstandsfunktion Tätigkeiten im Rahmen eines - unstrittig - "echten" Arbeitsverhältnisses ausübte. Da das bereits im Jahr 2003 zur späteren Gemeinschuldnerin begründete Dienstverhältnis der Klägerin - ausgehend vom Sachverhalt - faktisch für die Dauer der Vorstandsfunktion karenziert war, war die Klägerin jedenfalls vom 22.5. bis zu ihrem vorzeitigen Austritt am 31. 5. 2006 Arbeitnehmerin iSd § 1 Abs 1 IESG. Sowohl die Vorinstanzen als auch die beklagte Partei sind sich offenbar im Klaren darüber, dass eine "Fortwirkung der Organtätigkeit" nach der seit 1. 10. 2005 geltenden Rechtslage schon deshalb ausscheidet, weil die Organe (als solche) nicht mehr vom Bezug von Insolvenz-Ausfallgeld ausgenommen sind. Eine Fortwirkung der "Nichtarbeitnehmereigenschaft" entbehrt aber jeder gesetzlichen Grundlage und ist auch mit der Zielsetzung der Insolvenz-Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 2002/74/EG nicht vereinbar. Nach Art 2 Abs 3 dieser Richtlinie dürfen die Mitgliedsstaaten den Anspruch der Arbeitnehmer auf Schutz nach dieser Richtlinie nicht von einer Mindestdauer des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses abhängig machen. Wollte man der Klägerin den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld deshalb versagen, weil sich an die Zeit der "Nichtarbeitnehmereigenschaft" als Vorstandsmitglied lediglich ein kurzfristiges "echtes" Arbeitsverhältnis anschloss, würde dies zu einem eklatanten Widerspruch mit der Insolvenz-Richtlinie führen. Ob in besonders gelagerten Fällen zur Vermeidung von Missbräuchen iSd Art 10 der Insolvenz-Richtlinie einem vormaligen Vorstandsmitglied Insolvenz-Ausfallgeld für ein an die Vorstandsfunktion anschließendes Arbeitsverhältnis ausnahmsweise versagt werden kann, ist hier nicht zu prüfen, weil der vorliegende Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte für einen derartigen Missbrauch durch die Klägerin liefert.