12.02.2009 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zu den Voraussetzungen einer Feststellungsklage nach § 65 ASGG

Eine Feststellungsklage nach § 65 Abs 2 ASGG setzt aufgrund der sukzessiven Kompetenz jedenfalls auch einen Bescheid voraus, der über das gestellte Feststellungsbegehren des Versicherten abgesprochen hat


Schlagworte: Sozialrechtssachen, Feststellungsklage, sukzessive Kompetenz
Gesetze:

§ 65 ASGG

GZ 10 Ob S119/08k, 14.10.2008

OGH: Gegen einen Bescheid des Versicherungsträgers in einer Leistungssache nach § 354 ASVG kann vom Versicherten nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden. Mit der Klage tritt der Bescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft (§ 71 Abs 1 ASGG) und die Entscheidungskompetenz geht auf das Arbeits- und Sozialgericht über. Das Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht ist kein (kontrollierendes) Rechtsmittelverfahren, sondern das Gericht hat den durch die Klage geltend gemachten Anspruch selbständig und unabhängig vom Verfahren vor dem Versicherungsträger auf Basis der Sach- und Rechtslage bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu prüfen.

Nach § 67 Abs 1 ASGG kann - von den Säumnisfällen abgesehen - eine Klage jedoch nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Aus dem Zweck der sukzessiven Zuständigkeit, vorerst den Sozialversicherungsträger mit der Sache zu befassen und den Gerichten nur die wirklich streitigen Fälle zuzuführen, ist abzuleiten, dass nur eine meritorische Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten den Weg zum Sozialgericht ebnet. Liegt eine solche nicht vor, so ist grundsätzlich der Rechtsweg versperrt. Das Erfordernis "darüber" bewirkt überdies in Fällen, in denen die Klage zulässig ist, eine Eingrenzung des möglichen Streitgegenstands: Dieser kann grundsätzlich nur Ansprüche umfassen, über die der Sozialversicherungsträger bescheidmäßig abgesprochen hat. Die Klage darf daher im Vergleich zum vorangegangenen Antrag weder die rechtserzeugenden Tatsachen auswechseln noch auf Leistungen (Feststellungen, Gestaltungen) gerichtet sein, über die der Versicherungsträger im bekämpften Bescheid gar nicht erkannt hat. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls ein "Austausch" des Versicherungsfalls oder der Art der begehrten Leistungen im gerichtlichen Verfahren nicht zulässig ist; für solche Begehren fehlt es an einer "darüber" ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers. In diesem Fall ist auch eine Klagsänderung iSd § 86 ASGG bzw § 235 ZPO nicht zulässig, sondern als einziger Weg der Anspruchsverfolgung bleibt hier die Stellung eines neuen Antrags im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren.

Ebenso wie der allgemeine Zivilprozess kennt auch das Verfahren in Sozialrechtssachen sowohl Leistungs- als auch Feststellungs- und Rechtsgestaltungsklagen. Sofern der bekämpfte Bescheid auf Antrag des Versicherten ergangen ist, korrespondiert das Begehren der Bescheidklage in der Regel mit jenem des Antrags. So hat beispielsweise der Versicherte, der im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren Leistungen beantragt, in der Regel auch sein Klagebegehren auf Zuerkennung eben dieser Leistungen zu richten. Gem § 65 Abs 2 ASGG fallen unter die Sozialrechtssachen auch Klagen auf Feststellung. Dies gilt mangels einer Beschränkung für alle in § 65 Abs 1 ASGG erfassten Rechtssachen. Voraussetzung dafür ist gem § 228 ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechts oder Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage nach § 65 Abs 2 ASGG setzt aufgrund der sukzessiven Kompetenz jedenfalls auch einen Bescheid voraus, der über das gestellte Feststellungsbegehren des Versicherten abgesprochen hat. Wurde mit einem Bescheid über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs entschieden, so steht dem Betroffenen die seinem Rechtsstandpunkt entsprechende Feststellungsklage offen, wenn eine Leistungsklage nicht in Betracht kommt. Dabei resultiert das rechtliche Interesse des Betroffenen im Allgemeinen schon daraus, dass der Sozialversicherungsträger die gegenteilige Feststellung getroffen hat und dieser Bescheid bei mangelnder Bekämpfbarkeit im Klagsweg bindende Wirkung entfalten würde. Die Umwandlung eines Leistungsbegehrens in ein Feststellungsbegehren ist an sich grundsätzlich als Klagseinschränkung und nicht als Klagsänderung anzusehen (§ 235 Abs 4 ZPO), sofern das Feststellungsbegehren zeitlich und umfangmäßig nicht über den mit der Leistungsklage geltend gemachten Anspruch hinausgeht.