12.03.2009 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Formulierung von Wertungen in Dienstzeugnissen

Der Grundsatz der Zeugniswahrheit findet im Erschwerungsverbot eine Grenze; im Einzelfall können daher Wahrheitspflicht und Erschwerungsverbot dazu führen, dass nur ein einfaches Dienstzeugnis in Betracht kommt


Schlagworte: Dienstzeugnis, Werturteil, Wahrheitspflicht, Erschwerungsverbot
Gesetze:

§ 1163 ABGB, § 39 AngG

GZ 9 ObA 164/08w, 17.12.2008

Strittig ist die Formulierung, dass die Klägerin alle ihr übertragenen Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erledigt habe. Da die Beklagte nicht die bestmögliche positive Formulierung "zur vollsten Zufriedenheit" verwendet habe, könne eine Abwertung der Klägerin nicht ausgeschlossen werden.

OGH: Bei Beendigung des Dienstverhältnisses besteht ein Anspruch des Dienstnehmers auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses über die Dauer und Art der Dienstleistung. Eintragungen und Anmerkungen im Zeugnis, durch die dem Dienstnehmer die Erlangung einer neuen Stelle erschwert wird, sind unzulässig. Der Dienstgeber ist nur verpflichtet, ein "einfaches" Dienstzeugnis über Dauer und Art der Dienstleistung auszustellen; es besteht kein Anspruch des Dienstnehmers auf ein "qualifiziertes" Dienstzeugnis mit Werturteilen des Dienstgebers über Leistung und Führung im Dienst. Die Hauptfunktion des Dienstzeugnisses besteht in seiner Verwendung als Bewerbungsunterlage im vorvertraglichen Arbeitsverhältnis. Es dient dem Stellenbewerber als Nachweis über zurückliegende Dienstverhältnisse und dem präsumtiven Dienstgeber als Informationsquelle über die Qualifikation des Bewerbers. Das Dienstzeugnis hat daher vollständig und objektiv richtig zu sein; die Formulierung ist allerdings dem Dienstgeber vorbehalten. Das Dienstzeugnis soll dem Dienstnehmer die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes erleichtern. Die Ausstellung eines den tatsächlichen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers nicht entsprechenden "Gefälligkeitszeugnisses" verstößt gegen die Wahrheitspflicht und ist daher unzulässig. Andererseits ist aber nach § 1163 Abs 1 letzter Satz ABGB auch jeder Hinweis unzulässig, der die Erlangung einer neuen Stellung erschwert ("Erschwerungsverbot"). Das Dienstzeugnis darf daher - auch nicht indirekt - Angaben enthalten, die objektiv geeignet wären, dem Dienstnehmer die Erlangung einer neuen Dienststelle zu erschweren. Das Versehen des Dienstzeugnisses mit "Geheimcodes", die potenzielle Dienstgeber über (tatsächliche oder vermeintliche) Unzulänglichkeiten des Dienstnehmers informieren sollen, ist unzulässig. Die Formulierung darf daher auch nicht "zwischen den Zeilen" ein für den Dienstnehmer negatives Gesamtbild durchblicken lassen. Werturteile, soweit sie für den Dienstnehmer nicht zweifelsfrei günstig sind, dürfen nicht in das Dienstzeugnis aufgenommen werden. Der Grundsatz der Zeugniswahrheit findet somit im Erschwerungsverbot eine Grenze. Im Einzelfall können daher Wahrheitspflicht und Erschwerungsverbot dazu führen, dass nur ein einfaches Dienstzeugnis in Betracht kommt.

Eine normierte einheitliche "Zeugnissprache" gibt es nicht; die Formulierung des Dienstzeugnisses ist dem Dienstgeber vorbehalten. Der Frage, wie im konkreten Einzelfall eine Formulierung subjektiv verstanden werden kann, kommt daher keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu.

Dass die Wendung "zur vollsten Zufriedenheit" in Dienstzeugnissen gebräuchlich ist, bezweifelt auch die Revisionswerberin nicht. Ihrem Einwand, eine Steigerung von "voll" ergebe "keinen Sinn" und "sei nach der Grammatik absolut unrichtig", steht die bei Dienstzeugnissen tatsächlich gehandhabte Praxis, die in dieser Formulierung durchaus eine Relevanz sieht, entgegen. Im Übrigen ist es zwar richtig, dass Komparativ- und Superlativformen bei jenen Adjektiven unüblich sind, die bereits einen höchsten oder geringsten Grad bezeichnen. Dennoch werden aber auch solche Adjektive gelegentlich gesteigert (zB das Adjektiv "voll" in "zu meiner vollsten Zufriedenheit" in einem Dienstzeugnis), wenn der höchste oder geringste Grad noch verstärkt werden soll. Gerade in der "Zeugnissprache" spielen Superlative eine besonders große Rolle. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, das gegenständliche Dienstzeugnis sei nicht zweifelsfrei günstig für die Klägerin, ist daher jedenfalls vertretbar.

Da aber der Inhalt eines Dienstzeugnisses auch wahr zu sein hat - im konkreten Fall hat die Klägerin gerade nicht alle ihr übertragenen Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erledigt -, besteht der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung eines einfachen Dienstzeugnisses daher zu Recht.