14.05.2009 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Dienstvertrag - Mitverschulden bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung

Die Mitverschuldensregel kann bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung nur dort greifen, wo der Erklärungsempfänger ein Verhalten gesetzt hat, das zusätzlich bzw unabhängig von dem für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichenden Verhalten für die Auflösung kausal iSd Verursachung eines Informationsmangels des die Auflösung unberechtigt Erklärenden war; Tatbestände, die sich nicht als taugliche Auflösungsgründe erwiesen haben, müssen für die Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens außer Betracht bleiben


Schlagworte: Dienstvertrag, Mitverschulden des Dienstgebers bei ungerechtfertigtem Austritt des Dienstnehmers, Verhalten des Dienstgebers welches kausal im Sinne der Verursachung eines Informationsmangels des die Auflösung unberechtigt Erklärenden war, nicht jedoch Verhalten das für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichenden war
Gesetze:

§ 1162c ABGB

GZ 9 ObA 136/08b, 24.2.2009

Der Kläger war Arbeitnehmer der Beklagten. Aufgrund von ständig verspäteten Lohnzahlungen und seines hohen Zeitausgleichs- und Urlaubsguthabens entschied er sich, ohne Zustimmung seiner Arbeitsgeberin der Arbeit fern zu bleiben. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin forderte ihn daraufhin telefonisch auf, zur Arbeit zurückzukehren. Der Kläger antwortete ihm, "dass es ihn nicht mehr interessiere." Fraglich ist, inwieweit ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitgebers als Mitverschulden für die unberechtigte Auflösung durch den Arbeitnehmer berücksichtigt werden kann.

OGH: Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass die Mitverschuldensregel des § 1162c ABGB (wie die vergleichbare Bestimmung des § 32 AngG) "ausnahmsweise" auch dann zur Anwendung kommt, wenn sich die von einem Teil erklärte vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwar als ungerechtfertigt erweist, der Erklärungsempfänger aber ein schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, das im Zusammenwirken mit einem ebenfalls schuldhaften Verhalten des Erklärenden für die Auflösung ursächlich war. Dabei kann der Mitverschuldensregel nach nunmehr stRsp auch anspruchsbegründende Wirkung zukommen.

Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Mitverschuldensregel nicht dazu dient, dem Erklärenden durch teilweise Berücksichtigung seiner zu "schwachen" Auflösungsgründe wenigstens einen Teil seines unbegründeten Anspruchs zu retten oder die ihn aufgrund der unberechtigten Auflösung treffenden Rechtsfolgen zu mindern. Daher ist immer die Frage nach dem Auflösungsgrund zu klären, die nicht mit jener nach einem allfälligen Mitschulden vermengt werden darf.

Tatbestände, die sich nicht als taugliche Auflösungsgründe erwiesen haben, müssen für die Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens außer Betracht bleiben. Die Mitverschuldensregel kann bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung nur dort greifen, wo der Erklärungsempfänger ein Verhalten gesetzt hat, das zusätzlich bzw unabhängig von dem für die vorzeitige Auflösung nicht ausreichenden Verhalten für die Auflösung kausal iSd Verursachung eines Informationsmangels des die Auflösung unberechtigt Erklärenden war.

Die "Kausalität" des Verhaltens ist hier auf die Auflösungserklärung zu beziehen. Das kausale Verhalten des Erklärungsempfängers (unberechtigt entlassener Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer unberechtigt ausgetreten ist) für die Auflösungserklärung kann demgemäß in einer Verletzung von Informationsverpflichtungen bestehen, deren Erfüllung den Erklärenden in die Lage versetzt hätte, die mangelnde Berechtigung seiner Auflösungserklärung zu erkennen und davon Abstand zu nehmen (in diesem Sinn nimmt die Rechtsprechung ein Mitverschulden des unberechtigt entlassenen Arbeitnehmers an, der dem Arbeitgeber einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein an sich pflichtwidriges Verhalten schuldhaft nicht bekannt gibt, wenn der Arbeitgeber bei Kenntnis des Rechtfertigungsgrunds die Entlassung nicht ausgesprochen hätte).

Damit ist aber klar, dass hier die Voraussetzungen für die Annahme eines Mitverschuldens der Beklagten am unberechtigten Austritt des Klägers nicht vorliegen. Das Berufungsgericht hat ein derartiges Mitverschulden gerade in jenem Verhalten des Arbeitgebers erblickt, das für die Rechtfertigung des Austritts des Klägers nicht ausgereicht hat, nämlich in den ständigen verspäteten Lohnzahlungen, mit dem Aushaften des Dezembergehalts und mit den hohen Zeitausgleichs- und Urlaubsguthaben bzw der darin erblickten Verletzung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht. All diese Umstände hat der Kläger schon in seiner Klage zur Rechtfertigung des Austritts herangezogen. Sie haben sich aber als zur Rechtfertigung des Austritts nicht als geeignet erwiesen und kommen daher als Grundlage für die Annahme eines Mitverschuldens der Beklagten nicht in Betracht.