31.03.2006 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht unmissverständlich darauf hingewiesen, dass seine Dienste streikbedingt nicht in Anspruch genommen werden, kann der auf die Streiktage entfallende Lohn nicht verweigert werden


Schlagworte: Streik, Lohnabzug, Arbeitsauftrag, Arbeitsleistung, Arbeitsbereitschaft
Gesetze:

§ 1155 ABGB

In seinem Erkenntnis vom 25.01.2006 zur GZ 9 ObA 71/05i hatte sich der OGH mit der Lohnfortzahlung während eines Streikes auseinanderzusetzen:

Der Kläger ist bei der Beklagten als Verschieber beschäftigt. Die Gewerkschaft der Eisenbahner gab im November 2003 bekannt, dass ein unbefristeter Warnstreik der Mitglieder der Eisenbahner-Gewerkschaft stattfinde. Der Streik erfolgte wegen der geplanten Veränderungen des Dienstrechts der ÖBB-Bediensteten, von denen auch der Kläger betroffen gewesen wäre. Der Kläger - er ist nicht Mitglied der Gewerkschaft - fand sich während des Streiks an seinem Arbeitsplatz ein und übergab dem Bahnhofsvorstand eine schriftliche Erklärung, dass er sich mit dem Streik der Gewerkschaft der Eisenbahner nicht solidarisch erkläre und arbeitsbereit sei. Auf Grund des Streiks war es der Beklagten während des gesamten Streikzeitraums faktisch unmöglich, personen- oder güterbefördernde Züge zu führen oder Verschubarbeiten verrichten zu lassen. Der Kläger konnte daher seine Tätigkeit nicht verrichten. Ihm wurden keine dienstlichen Arbeitsaufträge erteilt. In der Folge nahm die Beklagte einen Lohnabzug wegen des Streiks vor.

Dazu der OGH: Es gehört zu den Organisationspflichten des Arbeitgebers, mit denen auch die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht einher geht, dafür Sorge zu tragen, dass die am Streik nicht beteiligten Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsbereitschaft ernstlich und ausdrücklich erklären, darüber informiert werden, dass ihre Dienste streikbedingt nicht in Anspruch genommen werden. Den Arbeitgeber trifft somit grundsätzlich die Obliegenheit, den Arbeitnehmer unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass er die angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will oder kann. Er kann sich daher nicht erst im Nachhinein darauf berufen, die Arbeitsbereitschaft des im Betrieb anwesenden Arbeitnehmers sei für ihn deshalb nicht von Vorteil gewesen, weil wegen des Streiks des Großteils der Belegschaft der gesamte Betriebstillgestanden sei.

Der Kläger ist im vorliegenden Fall jeweils zum planmäßigen Dienstbeginn im Betrieb erschienen, hat seine Arbeitsbereitschaft bekundet und die gesamte planmäßige Dienstzeit in den Betriebsräumlichkeiten verbracht. Damit hat er seine Arbeitsbereitschaft angeboten, ohne dass es zu deren Zurückweisung durch die Beklagte gekommen wäre, die ihm insbesondere auch nicht die Möglichkeit eröffnet hat, mit ihrem Einverständnis den Betrieb zu verlassen und die vorgesehene Dienstzeit anderweitig zu nutzen. Die schon in Entscheidung 8 ObA 23/05y geforderte (ernstliche und ausdrückliche) Erklärung, die Dienste des Klägers (streikbedingt) nicht in Anspruch zu nehmen, hat die Beklagte somit nicht abgegeben. Hat sie aber die Entgegennahme der angebotenen Arbeitsleistungen nicht abgelehnt, kann sie die Zahlung des auf die Streiktage entfallenden Lohns schon aus diesem Grund nicht verweigern.