03.09.2009 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, inwieweit geringfügige und kurzzeitige "Abwege" während einer dienstlichen Tätigkeit den Unfallversicherungsschutz beseitigen bzw unterbrechen

Maßgeblich für die nur einzelfallbezogen mögliche Beurteilung, ob eine unschädliche Unterbrechung vorliegt, ist va der zeitliche und räumliche Bewegungsaufwand für die private Verrichtung; insgesamt muss sie so als unwesentlich in den Hintergrund treten, dass die geschützte betriebliche Tätigkeit dadurch kaum tangiert wird, va, wenn die private Versicherung von der betrieblichen Tätigkeit nicht klar zu trennen ist


Schlagworte: Sozialversicherung, Arbeitsunfall, Unterbrechung
Gesetze:

§ 175 ASVG

GZ 10 ObS 98/09y, 16.06.2009

Während einer rund 10 bis 15 Minuten dauernden geschäftlichen Besprechung in einem Cafe ging eine Bekannte des Klägers, die in einem Uhrengeschäft arbeitet, vor dem Cafe vorbei. Der Kläger wollte ihr seine defekte Armbanduhr aushändigen. Auf dem Weg zum Ausgang des Kaffeehauses, etwa 4 m vom Tisch im Kaffeehaus entfernt, rutschte der Kläger aus und verletzte sich schwer.

OGH: Es ist unbestritten, dass die dienstliche Besprechung des Klägers im Kaffeehaus selbst unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ausnahmslos jeder Unfall während der Gesamtdauer der Besprechung ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall iSv § 175 ASVG ist. Vielmehr stehen sog "eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten", die dem privaten Bereich zuzurechnen sind, nicht unter Unfallversicherungsschutz. Andererseits entfällt der Versicherungsschutz nicht, wenn eine solche private Besorgung so gestaltet ist, dass sie va hinsichtlich ihrer Dauer und Art nach natürlicher Betrachtungsweise in die geschützte Tätigkeit "eingeschoben" ist und diese nur geringfügig unterbricht. Eine Unterbrechung dieser Art lässt ausnahmsweise den Unfallversicherungsschutz aufrecht, wenn die (an sich zur unversicherten Sphäre gehörige) private Verrichtung unbedeutend ist und "quasi im Vorübergehen" und "ganz nebenher" erfolgt. Maßgeblich für die nur einzelfallbezogen mögliche Beurteilung, ob eine unschädliche Unterbrechung vorliegt, ist va der zeitliche und räumliche Bewegungsaufwand für die private Verrichtung. Insgesamt muss sie so als unwesentlich in den Hintergrund treten, dass die geschützte betriebliche Tätigkeit dadurch kaum tangiert wird, va, wenn die private Versicherung von der betrieblichen Tätigkeit nicht klar zu trennen ist. In der deutschen Judikatur wird eine zeitliche Grenze von rund 5 Minuten und eine räumliche Grenze von nicht viel mehr als 5 - 6 m angenommen.

In Österreich fehlt höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Aufrechtbleiben des Unfallversicherungsschutzes während einer Unterbrechung der geschützten Tätigkeit. Soweit Wege iZm der versicherten Tätigkeit zurückzulegen sind, hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Unfallversicherung dem Versicherten grundsätzlich ein bestimmtes Maß an räumlicher Bewegungsfreiheit einräumt, ohne dass er negative versicherungsrechtliche Auswirkungen befürchten muss. Nach der Judikatur des OGH zum Wegunfall würde eine diffizile Unterscheidung, welche Schritte möglicherweise eigenwirtschaftlich sind und welche zum üblichen Arbeitsweg gehören, dem Gesichtspunkt widersprechen, dass der Arbeitsweg grundsätzlich unter Unfallversicherungsschutz steht.

Es ist klar, dass Bewegungen, die selbst der dienstlichen Besprechung dienen (zB Aufstehen samt kurzer Fortbewegung, um eine benötigte Unterlage aus einer Tasche zu holen), in einem unmittelbaren örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der geschützten Tätigkeit stehen und selbst geschützt sind.

Vergleicht man den konkreten Bewegungsaufwand des Klägers mit solchen Bewegungen, die auch sonst im Zuge einer dienstlichen Besprechung in einem Cafe vorkommen können (Gang an die Bar, um Speisen oder Getränke zu bestellen oder urgieren; Holen eines Kugelschreibers aus dem Mantel an der Garderobe neben dem Eingang), ist festzuhalten, dass das jeweilige zeitliche und örtliche Ausmaß kaum voneinander abweicht. Gesteht man dem Kläger eine "gewisse Bewegungsfreiheit" im Rahmen der dienstlichen Besprechung zu, muss auch die ganz kurze Entfernung von der Besprechung zu privaten Zwecken als geringfügig angesehen werden, sodass der Versicherungsschutz nicht unterbrochen wurde. Konsequenterweise verblieb der Kläger zwischen dem Aufstehen vom Tisch bis zur Rückkehr an den Tisch noch im geschützten Bereich.