17.12.2009 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Arbeitsfähigkeit iSd § 8 AlVG - Bindungswirkung der Gutachten von AMS bzw Sozialversicherungsträger gegenüber der Arbeits- und Sozialgerichte?

§ 8 Abs 3 AlVG wendet sich nur an das AMS und die SozVTr; die im Rahmen der sukzessiven Kompetenz ebenfalls mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit befassten Arbeits- und Sozialgerichte werden von dieser Bestimmung somit nicht erfasst


Schlagworte: Arbeitsfähigkeit, Gutachten, sukzessive Kompetenz, Beweiswürdigung
Gesetze:

§ 8 AlVG

GZ 10 ObS 138/09f, 29.09.2009

Der Revisionswerber beruft sich auf die in § 8 Abs 3 AlVG normierte Verpflichtung zur wechselseitigen Anerkennung der ärztlichen Gutachten des AMS einerseits und der SozVTr andererseits iZm der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Grundsätzlich sei dem Berufungsgericht zwar darin zuzustimmen, dass ein Gutachten "bloß" ein Beweismittel sei; der Gesetzgeber habe jedoch die bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit erstellten ärztlichen Gutachten des AMS und der SozVTr durch die in § 8 Abs 3 AlVG normierte Verpflichtung zur wechselseitigen Anerkennung mit einer "Bindungswirkung ausgestaltet", die die freie Beweiswürdigung einschränke und auch die Sozialgerichte zur wechselseitigen Anerkennung der ärztlichen Gutachten verpflichte.

Demgegenüber vertritt die beklagte Partei den Standpunkt, § 8 Abs 3 AlVG ziele nicht darauf ab, dass ein vom AMS erstattetes Gutachten zwingend zur Zuerkennung einer Pensionsleistung zu führen hätte, ohne dem Pensionsversicherungsträger die Möglichkeit einer gesonderten Überprüfung einzuräumen. Keinesfalls zutreffend seien die Erwägungen des Klägers zu einer Bindungswirkung auch gegenüber dem Arbeits- und Sozialgericht.

OGH: Gem § 8 Abs 3 AlVG sind die ärztlichen Gutachten des AMS einerseits und der SozVTr andererseits, soweit es sich um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit handelt, "gegenseitig" anzuerkennen, wobei der Bundesminister für soziale Verwaltung nach Anhörung des Hauptverbandes des österreichischen SozVTr die erforderlichen Maßnahmen trifft. Nach dem (insoweit) klaren Wortlaut wendet sich diese Bestimmung nur an das AMS und die SozVTr; die im Rahmen der sukzessiven Kompetenz ebenfalls mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit befassten Arbeits- und Sozialgerichte werden von dieser Bestimmung somit nicht erfasst. Welche Folgen aus dieser Verpflichtung des AMS bzw der SozVTr, die Gutachten wechselseitig "anzuerkennen", resultieren, ist hier daher schon aus folgender Überlegung gar nicht zu beantworten:

Dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz entsprechend haben die Arbeitsgerichte und Sozialgerichte nicht die Aufgabe, die von den Trägern der Sozialversicherung erlassenen, von den Versicherten bekämpften Bescheide zu überprüfen; sie haben vielmehr über die mit einer Klage vom Versicherten geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche nach Abschluss des mit einem über die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche des Versicherten absprechenden Bescheid des Versicherungsträgers beendeten Verwaltungsverfahrens in einem eigenen, selbständigen Verfahren zu entscheiden. Gerade die nach diesen Grundsätzen - im eigenen Verfahren vollkommen neu zu entscheidende - Frage, ob und in welchem Umfang durch bestehende Leidenszustände die Leistungsfähigkeit der Versicherten eingeschränkt ist, stellt aber eine nicht revisible Tatsachenfrage dar, die von den Gerichten erster und zweiter Instanz aufgrund von Gutachten ärztlicher Sachverständiger zu klären ist. Auch die Feststellungen, welche Tätigkeiten aufgrund des medizinischen Leistungskalküls noch verrichtet werden können und welche Berufsanforderungen bestehen, gehören ausschließlich dem Tatsachenbereich an. Ein Akt der irrevisiblen Beweiswürdigung ist es auch, wenn das Gericht einem Sachverständigengutachten folgt und dessen Einschätzungen seinen Feststellungen zugrunde legt.

Demgemäß haben die Tatsacheninstanzen die erforderlichen Feststellungen zur "Arbeitsfähigkeit" des Klägers aufgrund freier Beweiswürdigung getroffen und waren bei der Bildung der Überzeugung, ob die für die Feststellung dieser Tatsachen notwendige (hohe) Wahrscheinlichkeit vorliegt, grundsätzlich an keine gesetzlichen Beweisregeln gebunden.