29.12.2009 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Neufeststellung der Rente nach § 183 ASVG

Eine die Neufeststellung (Entziehung) der Rente rechtfertigende Änderung der Verhältnisse ist nur dann gegeben, wenn die der früheren Feststellung zugrunde liegenden tatsächlichen, dh objektiven Verhältnisse sich wesentlich geändert haben; es kommt nicht darauf an, von welchen Verhältnissen der Unfallversicherungsträger ausgegangen ist, was also subjektiv für ihn bei Erlassung des Bescheides maßgeblich war


Schlagworte: Neufeststellung der Rente
Gesetze:

§ 183 ASVG

GZ 10 ObS 163/09g, 20.10.2009

OGH: Die Bestimmung des § 183 ASVG regelt die Neufeststellung der Versehrtenrente und stellt für diesen Bereich bezüglich der Entziehung eine Sonderbestimmung gegenüber § 99 ASVG dar. Danach hat die Neufeststellung der Versehrtenrente zu erfolgen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung einer Rente maßgeblich waren, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Bestimmung des § 183 Abs 1 ASVG hängt unmittelbar mit der Rechtskraft von Bescheiden im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen. Es werden in dieser Norm bestimmte Voraussetzungen statuiert, unter denen die Rechtskraft von Bescheiden innerhalb von bestimmten Grenzen ihre Wirksamkeit verliert, wobei sich § 183 Abs 1 ASVG nicht nur auf durch Bescheide der Unfallversicherungsträger festgestellte Renten bezieht, sondern auch dann anzuwenden ist, wenn ein Urteil oder Vergleich im gerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund der Rente bildet. In Ermangelung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gem § 183 Abs 1 ASVG steht somit die Rechtskraft der Vorentscheidung (Bescheid, Urteil, Vergleich) einer Neubemessung im Wege. Da die materielle Rechtskraft einer Entscheidung immer auf die Situation zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt abstellt, kann nur eine nach dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt eingetretene wesentliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraft der Vorentscheidung durchbrechen. Haben sich hingegen die der rechtskräftigen Vorentscheidung zugrunde liegenden maßgeblichen Tatsachen nicht wesentlich geändert, bildet eine allenfalls unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der rechtskräftigen Vorentscheidung keinen Anlass für eine Neueinschätzung. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit in der früheren Entscheidung zu hoch eingeschätzt wurde, sondern auch im Fall einer zu niedrigen Einschätzung. In diesem Fall steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung einer Neufeststellung (Entziehung) entgegen. Zum Vergleich dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, ist der Tatsachenkomplex heranzuziehen, der jener Entscheidung zugrunde lag, deren Rechtskraftwirkung bei unveränderten Verhältnissen einer Neufeststellung der Rente im Wege steht.

Eine Neufeststellung nach § 183 Abs 1 ASVG setzt daher eine wesentliche Änderung der Verhältnisse voraus, wobei für den anzustellenden Vergleich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit den Verhältnissen im Zeitpunkt der Neubemessung oder Entziehung in Beziehung zu setzen sind. Dabei kommt es nicht darauf an, welcher Zustand und welche Einschätzung der seinerzeitigen Gewährung zugrunde gelegt wurde, sondern es sind im Verfahren über die Neubemessung oder Entziehung einer Leistung unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen vom Gericht eigene Feststellungen über die maßgeblichen Umstände im Zuerkennungszeitpunkt zu treffen. Durch den Bescheid, mit dem die Dauerrente gewährt wurde, wurde nämlich über den zum Zeitpunkt der Entscheidung bestandenen Tatsachenkomplex rechtskräftig abgesprochen. Die materielle Rechtskraft bezieht sich daher auf die Sachlage, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung objektiv vorlag, nicht jedoch bloß auf den Sachverhalt, den der Versicherungsträger seiner Entscheidung zugrunde legte. Eine die Neufeststellung (Entziehung) der Rente rechtfertigende Änderung der Verhältnisse ist daher nur dann gegeben, wenn die der früheren Feststellung zugrunde liegenden tatsächlichen, dh objektiven Verhältnisse sich wesentlich geändert haben; es kommt nicht darauf an, von welchen Verhältnissen der Unfallversicherungsträger ausgegangen ist, was also subjektiv für ihn bei Erlassung des Bescheides maßgeblich war. Bei der Rentenfeststellung übersehene und deshalb unbeachtet gebliebene Tatsachen rechtfertigen daher keine spätere Neufeststellung der Rente gem § 183 Abs 1 ASVG.