11.02.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Auslegung des im Kollektivvertrag für Handelsangestellte enthaltenen Dienstortbegriffs

Eine Dienstreise liegt vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrags den Dienstort verlässt; es ist nicht wie früher notwendig, dass der Arbeitnehmer den Dienstort "bloß vorübergehend" verlässt


Schlagworte: Kollektivvertrag für Handelsangestellte, Dienstort, Dienstreise, Reisender, Taggeld, Kilometergeld
Gesetze:

Handelsangestellten-Kollektivvertrag

GZ 8 ObA 60/09w, 22.10.2009

Die Klägerin war bei der beklagten Partei als Pharmareferentin beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand darin, von ihrem Wohnort R***** (Steiermark) aus Tierärzte mit Hausapotheken zu besuchen. Es war vereinbart, dass Taggeld und Kilometergeld nach dem auf das Dienstverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag für Handelsangestellte Österreichs bezahlt werden sollten.

Die Betriebsstätte der beklagten Partei liegt in dem 9 km von W***** entfernten B*****. Dort fanden in der Zeit von April bis Mai 2008 an sieben Tagen Schulungen statt, an denen die Klägerin im dienstlichen Auftrag teilnahm. Ebenso nahm sie an einer am 16. 6. in W***** durchgeführten Produktinformation teil. Für diese Fahrten erhielt die Klägerin keinen Auslagenersatz.

Die Klägerin bringt vor, dass bei Abwägung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen des Dienstnehmers und des Dienstgebers ein Reisender gröblich benachteiligt würde, wenn er auf eigene Kosten über jeweilige Anordnung des Dienstgebers zur Betriebsstätte anzureisen habe und für ihn keine Möglichkeit bestehe, diesen Anordnungen entgegen zu treten. Wenn ein Dienstgeber für solche angeordneten Fahrten keine Entschädigungen zu leisten habe, liege eine Bereicherung seinerseits vor.

OGH: Unter Anlehnung an den arbeitszeitrechtlichen Begriff der "Reisezeit" in § 20b AZG werden "Dienstreisen" im Allgemeinen als Zeiten definiert, in denen der "Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers vorübergehend seinen Dienstort (seine Arbeitsstätte) verlässt, um an anderen Orten seine Arbeitsleistung zu erbringen, sofern der Arbeitnehmer während der Reisebewegung keine Arbeitsleistung zu erbringen hat". Den Kollektivvertragsparteien steht es naturgemäß frei, eine von diesem Verständnis des Begriffs der Dienstreise abweichende Definition zu vereinbaren. Die Kollektivvertragsparteien haben hier als Reaktion auf die Entscheidung des OGH 9 ObA 310/00g Abschnitt XVI Punkt 1 des Handelsangestelltenkollektivvertrags durch Streichung des Wortes "vorübergehend" in lit a geändert. Eine Dienstreise liegt nunmehr vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrags den Dienstort verlässt. Es ist nicht wie früher notwendig, dass der Arbeitnehmer den Dienstort "bloß vorübergehend" verlässt. Auch Arbeitnehmer, "die ständig unterwegs sind" sind, somit von der Dienstreisedefinition des neuen Kollektivvertrags erfasst. Die für die Handelsangestellten geltende Regelung baut daher auf einem eigenständigen Begriff des "Dienstorts", definiert als örtlich abgegrenzter Bereich, auf.

Danach mögen hier die Voraussetzungen einer Dienstreise zwar dann erfüllt sein, wenn die Klägerin ihrer Reisetätigkeit nachkommt, weil sie dabei zwangsläufig immer den in Abschnitt XVI Z 1 lit b definierten Dienstort verlässt. Für die am Dienstort selbst abgehaltenen Schulungen gilt dies aber gerade nicht. Die Fahrt von ihrer Wohnung zum eindeutig definierten "Dienstort", an dem sie im dienstlichen Auftrag Schulungen absolvierte, ist daher als "Wegzeit" iSd stRsp zu beurteilen und begründet mangels abweichender Regelung im Kollektivvertrag keinen Anspruch auf Aufwandersatz.

Ein für die Rechtsmittelwerberin günstigeres Ergebnis lässt sich auch nicht aus der Bestimmung des Punktes XVI C des Handelsangestellten-Kollektivvertrags ableiten, wonach eine Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung bei Entsendung des Angestellten zu Veranstaltungen (Seminaren, Kursen, Informationsveranstaltungen) entfällt, soferne die mit der Teilnahme verbundenen Kosten in erforderlichem Ausmaß vom Arbeitgeber getragen werden. Abgesehen davon, dass sich die Klägerin auf diese kollektivvertragliche Bestimmung gar nicht berufen hat, schafft die Regelung der lit C keinen eigenständigen Anspruch, der unabhängig von einer "Dienstreise" gebühren soll, sondern schließt einen Anspruch auf Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung vielmehr unter gewissen Voraussetzungen aus.