15.02.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Besonderes Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG - haben Erklärungen betroffener Arbeitnehmer Auswirkungen auf die Beurteilung des Feststellungsinteresses?

Einer im Rahmen einer Zeugenaussage im Verfahren gem § 54 Abs 1 ASGG abgegebenen Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers, er sei an diesem vom Betriebsrat eingeleiteten Verfahren nicht interessiert, kommt keine Bedeutung für die Beurteilung des rechtlichen Interesses gem § 228 ZPO zu


Schlagworte: Besonderes Feststellungsverfahren, Feststellungsinteresses, Erklärung betroffener Arbeitnehmer, Partei
Gesetze:

§ 54 ASGG

GZ 8 ObA 31/09f, 19.11.2009

Die beklagte Partei betreibt ein Busunternehmen, in dem neben anderen Gruppen von Arbeitnehmern ursprünglich neun Arbeitnehmer als Buslenker beschäftigt waren, auf deren Arbeitsverhältnisse der Bundeskollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben anzuwenden ist. Eine zwischen den Streitteilen getroffene schriftliche Vereinbarung zur Frage der Durchrechnung der Arbeitszeit über einen Zeitraum von einem Monat liegt nicht vor. Die beklagte Partei traf jedoch mit jenen neun Lenkern, die dem KV unterliegen, eine derartige, in jedem ihrer schriftlichen Dienstverträge enthaltene Vereinbarung.

OGH: Dem besonderen Feststellungsverfahren liegt der Gedanke des kollektiven Klagerechts zugrunde. Dieses beruht auf der Überlegung, dass es den Organen der Arbeitnehmerschaft (und gem § 54 Abs 2 ASGG den kollektivvertragsfähigen Körperschaften) möglich sein soll, Verfahren selbst durchführen zu können, die im Interesse einzelner oder mehrerer Arbeitnehmer gelegen sind, von diesen aber nicht geführt werden, weil sie Nachteile - insbesondere die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses - fürchten. § 54 Abs 1 ASGG normiert eine gesetzliche Prozessstandschaft, die Organe der Arbeitnehmerschaft machen im eigenen Namen Rechte der Arbeitnehmer bzw der Belegschaft geltend. Dementsprechend wirkt ein in einem Verfahren gem § 54 Abs 1 ASGG gefälltes Feststellungsurteil nur zwischen den Parteien des Verfahrens (ihren Rechtsnachfolgern) und nur deklarativ. Das Urteil wirkt aber weder zum Vorteil noch zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer, die Entscheidung kann nur auf faktischer Ebene von Bedeutung sein. Das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung des begehrten Rechts oder Rechtsverhältnisses iSd § 54 Abs 1 ASGG setzt insbesondere voraus, dass dieses Rechtsverhältnis eine unmittelbare rechtliche (nicht bloß wirtschaftliche oder ideelle) Wirkung auf die Rechtsstellung der betroffenen Arbeitnehmer ausübt und dass bei wenigstens drei Arbeitnehmern ein unmittelbarer (aktueller) Anlass zur Klageführung besteht. Die begehrte Feststellung muss überdies geeignet sein, die Unsicherheit für das Rechtsverhältnis zu beseitigen und künftige Rechtsstreitigkeiten zu verhindern. Voraussetzung ist daher eine tatsächliche Gefährdung der Rechtssphäre der betroffenen Arbeitnehmer, die schon darin gelegen ist, dass die beklagte Partei den Anspruch verneint. Auch aus dem Abschluss der einzelvertraglichen Vereinbarungen über die Durchrechnung ergibt sich daher der unmittelbare Anlass zur Klageführung, weil infolge des Verhaltens der beklagten Partei eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand des Rechts entstanden ist. Damit liegt aber weder eine bloß abstrakte Rechtsfrage noch ein Anspruch der Arbeitnehmer vor, der von der Arbeitgeberseite bisher ohne Vorbehalt erfüllt worden wäre.

Die betroffenen Arbeitnehmer haben im Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG weder eine Rolle als Parteien noch entfaltet das Urteil für oder gegen sie unmittelbare Wirkung. Weder erwerben sie daher aufgrund eines gem § 54 Abs 1 ASGG ergangenen Urteils Rechte, noch verlieren sie solche. Ihre Rechte bleiben vielmehr unberührt, deren Geltendmachung wird durch § 54 Abs 5 ASGG in gewisser Hinsicht erleichtert.

Klagende Partei im Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG ist - mögen materiell auch Rechte der Arbeitnehmer geltend gemacht werden - das zuständige Belegschaftsorgan, das aufgrund der von § 54 Abs 1 ASGG gewählten Konstruktion insofern auch ein eigenes Interesse an der Verfahrensführung hat, die ja im Ergebnis "nur" faktische Wirkung für die betroffenen Arbeitnehmer entfaltet. Daher kommt einer im Rahmen einer Zeugenaussage im Verfahren gem § 54 Abs 1 ASGG abgegebenen Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers, er sei an diesem vom Betriebsrat eingeleiteten Verfahren nicht interessiert, keine Bedeutung für die Beurteilung des rechtlichen Interesses gem § 228 ZPO zu.