23.02.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit - Antrag des Querschnittgelähmten auf "Neuberechnung" seiner Berufsunfähigkeitspension, weil ihm nunmehr - aufgrund einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustands - die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch an behindertengerechten Arbeitsplätzen und mit Entgegenkommen des Dienstgebers nicht mehr möglich sei

Ein im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls führen


Schlagworte: Berufsunfähigkeitspension, geminderte Arbeitsfähigkeit
Gesetze:

§ 222 ASVG, § 273 ASVG

GZ 10 ObS 165/09a, 24.11.2009

Der am 8. 8. 1961 geborene Kläger hat im Jahr 1983 einen Arbeitsunfall (Verkehrsunfall) erlitten und ist seither querschnittsgelähmt. Seit 1. 8. 1984 gewährt ihm die beklagte Partei eine unbefristete Berufsunfähigkeitspension (von 506 EUR brutto monatlich). Im Zeitpunkt der diesbezüglichen Antragstellung war ihm weder die Tätigkeit als Filialleiter noch eine Angestelltentätigkeit oder eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich. Sein Zustand hat sich seit dem Jahr 1984 nicht nennenswert verbessert. Aufgrund der besonderen, nicht allgemein üblichen Rücksichtnahme seiner Dienstgeberin war er jedoch trotz seiner Behinderungen in der Lage, am 19. 11. 1984 seine Berufstätigkeit wieder aufzunehmen und bis zum 2. 7. 2007 auszuüben. Am 31. 10. 2007 beantragte er die "Neuberechnung" seiner Berufsunfähigkeitspension, weil ihm nunmehr - aufgrund einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustands - die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch an behindertengerechten Arbeitsplätzen und mit Entgegenkommen des Dienstgebers nicht mehr möglich sei. Mit Bescheid vom 6. 12. 2007 lehnte die beklagte Partei diesen Antrag ab. Der Kläger sei auch in der seit 1. 8. 1984 ausgeübten Tätigkeit als berufsunfähig anzusehen. Daher sei aufgrund dieser Erwerbstätigkeit während des Pensionsbezugs kein neuer Versicherungsfall gem § 271 Abs 3 iVm § 254 Abs 4 letzter Satz ASVG eingetreten.

Der Kläger erachtet sich dadurch beschwert, dass er trotz geleisteter Beiträge im Gegensatz zu anderen, nicht behinderten Personen, die ebenso Versicherungsbeiträge leisteten, keine Gegenleistung in Form einer höheren Berufsunfähigkeitspension erhalte.

OGH: Beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (aus diesem Versicherungsfall ist gem § 222 Abs 1 Z 2 lit b ASVG bei Berufsunfähigkeit die Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten zu gewähren) wird ganz allgemein nur das Risiko einer körperlich oder geistig bedingten Leistungsminderung ausgeglichen, die beim Kläger trotz Wiederaufnahme seiner Tätigkeit gar nicht (mehr) eintreten konnte, weil er weiterhin berufsunfähig war.

Demgemäß kann ein im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls führen. Mangels Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls (für dessen Feststellung § 223 Abs 1 Z 2 lit a ASVG entsprechend anzuwenden wäre, wobei der bisherige Anspruch auf Invaliditätspension gem § 100 Abs 2 ASVG erlöschen würde) hat der Kläger auch nicht die Möglichkeit, die Gewährung einer "neuen Berufsunfähigkeitspension" zu beantragen. Wird somit eine Person, die - gemessen an den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts - außerstande ist, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen, aus Entgegenkommen und mit besonderer Nachsicht des Dienstgebers gegen Entgelt beschäftigt, so wird sie zweifellos in die Pflichtversicherung einbezogen. Neben sonstigen sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen werden bei entsprechend langer Beschäftigung hieraus auch Pensionsansprüche aus dem Versicherungsfall des Alters resultieren. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit hat jedoch - abgesehen vom Fall einer originären Minderung der Arbeitsfähigkeit iSd § 255 Abs 7 ASVG - zur Voraussetzung, dass eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt wurde. Eine unterschiedliche Behandlung des Klägers im Vergleich zu anderen Personen, die Pensionsbeiträge einzahlen, erfolgt dabei jedoch nicht; auch sie können nämlich nur unter der Voraussetzung, dass sich der körperliche oder geistige Zustand in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert, Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit beanspruchen. Ein Anspruch auf eine Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension besteht nämlich nur dann, wenn eine Person ursprünglich in der Lage war, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben und zufolge einer negativen Veränderung des körperlichen oder geistigen Zustandes außerstande gesetzt wird, nunmehr einer geregelten Beschäftigung, zu der sie früher in der Lage war, nachzugehen.