06.05.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Bescheidpflicht bei Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung?

Für die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über einen - jedenfalls unabhängig von einem Pensionsantrag gestellten -Antrag auf Gewährung von Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung besteht keine Bescheidpflicht


Schlagworte: Pensionsversicherung, Rehabilitationsmaßnahmen, Bescheidpflicht, sukzessive Kompetenz
Gesetze:

§§ 300 ff ASVG, § 367 ASVG, § 67 ASGG, § 65 ASGG

GZ 10 ObS 68/09m, 09.02.2010

OGH: Die Pensionsversicherungsträger treffen gem § 300 Abs 1 ASVG Vorsorge für die Rehabilitation ihrer Versicherten und Leistungsempfänger. Nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle umfasst die Rehabilitation medizinische und berufliche Maßnahmen und, soweit dies zu ihrer Ergänzung erforderlich ist, soziale Maßnahmen mit dem Ziel, Behinderte bis zu einem solchen Grad ihrer Leistungsfähigkeit herzustellen oder wiederherzustellen, der sie in die Lage versetzt, im beruflichen und wirtschaftlichen Leben und in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd einnehmen zu können. Nach § 301 Abs 1 ASVG dienen die medizinischen Maßnahmen (§ 302 ASVG), die beruflichen Maßnahmen (§ 303 ASVG) und die sozialen Maßnahmen (§ 304 ASVG) zur Erreichung dieses Ziels. Die Pensionsversicherungsträger gewähren diese Maßnahmen nach pflichtgemäßen Ermessen unter Berücksichtigung der Neigung, Eignung und der bisherigen Tätigkeit des Behinderten, bei den Leistungsempfängern auch unter Berücksichtigung des Alters, des Zustands, des Leidens oder Gebrechens sowie der Dauer des Pensionsbezugs, sofern und solange die Erreichung dieses Ziels zu erwarten ist.

Bei den Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung nach den §§ 301 ff ASVG handelt es sich somit um eine Pflichtaufgabe des Pensionsversicherungsträgers, die jedoch - wie bei den medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung - nicht als Pflichtleistung (mit individuellem Rechtsanspruch), sondern als freiwillige Leistung (ohne individuellen Rechtsanspruch) normiert ist. In diesem Sinne hat der OGH bereits in der Entscheidung 10 ObS 28/94 darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des rechtlichen Charakters der medizinischen Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung einen ungewöhnlichen Weg gegangen ist. So werde der Versicherungsträger zwar verpflichtet, die Leistungen der Rehabilitation nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen, er habe darüber jedoch keinen Bescheid zu erlassen. Mangels eines klagbaren Bescheids habe der Leistungswerber aber keine Möglichkeit, die Erbringung von Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen. Unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien zur 32. ASVG-Novelle führte der OGH weiters aus, dass ein individueller Rechtsanspruch allerdings auf das im Rahmen einer beruflichen Ausbildung bzw im Zuge von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung vorgesehene Übergangsgeld bestehe. Aus diesem Grund sehe § 367 Abs 1 ASVG nunmehr ausdrücklich eine Bescheidpflicht bei Antragstellung auf Gewährung des Übergangsgeldes vor. Der OGH gelangte daher in der Entscheidung 10 ObS 28/94 zu der Auffassung, dass der Versicherte auf Maßnahmen der Rehabilitation (in der Pensionsversicherung) keinen klagbaren Rechtsanspruch habe und er den Rechtsanspruch auf Übergangsgeld erst infolge Gewährung der Rehabilitationsmaßnahmen gewinne.

Was die Leistungen aus der Pensionsversicherung betrifft, ist nach § 367 Abs 1 ASVG über den Antrag auf Gewährung von Übergangsgeld aus der Pensionsversicherung ein Bescheid zu erlassen, wenn die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt. Weiters ist über den Antrag auf eine Leistung gem § 222 Abs 1 und 2 ASVG aus der Pensionsversicherung sowie auf Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens (§ 247 ASVG) jedenfalls (dh auch ohne entsprechendes Verlangen) ein Bescheid zu erlassen. Diese Bestimmung wurde in der Rechtsprechung bisher dahin verstanden, dass der Versicherungsträger verpflichtet ist, die Leistungen der Rehabilitation (in der Pensionsversicherung) nach pflichtgemäßen Ermessen zu erbringen, er jedoch keinen Bescheid zu erlassen hat. Mangels eines klagbaren Bescheids hat aber der Leistungswerber keine Möglichkeit, die Erbringung von Leistungen der Rehabilitation (in der Pensionsversicherung) im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen. Auch in der Lehre wird weitaus überwiegend die Auffassung vertreten, dass über die Gewährung sämtlicher Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung (§ 222 Abs 3 ASVG) kein Bescheid zu erlassen ist, da es sich dabei um keine Pflichtleistungen handelt und die Bestimmung des § 367 Abs 1 ASVG eine Bescheidpflicht ausdrücklich nur über den Antrag auf eine Leistung gem § 222 Abs 1 und 2 ASVG aus der Pensionsversicherung vorsieht, sodass - im Umkehrschluss - für die Leistungen der Pensionsversicherung gem § 222 Abs 3 ASVG (Rehabilitation, Gesundheitsvorsorge) keine bescheidmäßige Erledigung vorgesehen ist. Der gesetzliche Ausschluss der Bescheidpflicht wird als "Herausnahme dieses Leistungsbereichs aus der Hoheitsverwaltung" in die Privatwirtschaftsverwaltung gedeutet.

Weder die gesetzliche Verankerung des Grundsatzes des Vorrangs der Rehabilitation vor der Pension durch die Bestimmung des § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG noch die Gesetzesmaterialien bieten irgendeinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Gesetzgeber habe damit eine grundsätzliche Änderung der Rechtslage hinsichtlich der fehlenden Bescheidpflicht bei Anträgen auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen in der Pensionsversicherung vornehmen wollen. So erfolgte auch keine Änderung der diesbezüglichen Bestimmung des § 367 Abs 1 ASVG, welche eine Bescheidpflicht in der Pensionsversicherung nur für die Leistungen gem § 222 Abs 1 und 2 ASVG und nicht für Abs 3, der die Maßnahmen der Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge enthält, normiert. Gegen die Entscheidung des Gesetzgebers, die Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung grundsätzlich der Privatwirtschaftsverwaltung des Sozialversicherungsträgers zuzuordnen, bestehen nach Ansicht des erkennenden Senats auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Aufgrund der dargelegten Erwägungen hält der erkennende Senat weiterhin an seiner Rechtsprechung fest, wonach für die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über einen - jedenfalls unabhängig von einem Pensionsantrag gestellten - Antrag auf Gewährung von Leistungen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung keine Bescheidpflicht besteht.