20.05.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage der Zulässigkeit und der Konsequenzen einer vertraglichen Koppelungsklausel in Vorstandsverträgen

Wird der Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds aufgrund einer (grundsätzlich zulässigen) Koppelungsklausel mit seiner Vorstandsfunktion verknüpft und verliert er letztere, weil er vom Aufsichtsrat nach einem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung - ohne Vorliegen eines schuldhaften Verhaltens vom Gewicht eines Entlassungsgrundes - abberufen wurde, endet der Anstellungsvertrag nicht sofort, sondern erst nach Ablauf der gesetzlich für eine ordentliche Kündigung vorgesehenen (Kündigungs-)Frist zum folgenden Kündigungstermin


Schlagworte: Koppelungsklausel, Vorstandsmitglied, Anstellungsvertrag, Kündigungsentschädigung
Gesetze:

§ 1158 ABGB, §§ 1159 f ABGB, § 1162b ABGB, § 75 AktG

GZ 1 Ob 190/09m, 29.01.2010

Der Kläger wurde mit Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten vom 17. 6. 2002 für die Dauer von drei Jahren zu deren Vorstand bestellt. Am 31. 5. 2002 wurde ein Anstellungsvertrag abgeschlossen, der mit 1. 7. 2002 wirksam wurde. Der Kläger war für die Bereiche Verkauf/Inland, Marketing und Einkauf zuständig. Der Anstellungsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:"Ihr Dienstverhältnis endet ferner, wenn eine Abberufung durch den Aufsichtsrat gemäß den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen erfolgt."

OGH: Die Auffassungen zur Frage, ob und inwieweit eine Koppelungsklausel angesichts der im Dienstvertragsrecht zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zulässig und wirksam ist, sind uneinheitlich. Der OGH hat in einem obiter dictum ausgesprochen, derartige Klauseln könnten nur ausnahmsweise aus vom abberufenen Vorstandsmitglied darzulegenden Gründen nach einem umfassenden Vergleich der wechselseitigen Interessenlagen als sittenwidrig qualifiziert werden (3 Ob 251/07v). Dabei sei auch zu berücksichtigen, welche dienstvertraglichen Tätigkeiten das (frühere) Vorstandsmitglied nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand auszuüben hätte. Weiters wird unter Hinweis auf Vorjudikatur (9 ObA 292/88; 9 ObA 160/87) ausgeführt, einem Anspruch auf Kündigungsentschädigung stehe die im Anstellungsvertrag vereinbarte, an die Abberufung als Vorstandsmitglied gekoppelte gleichzeitige Auflösung des Anstellungsvertrags entgegen, weil der freie Dienstvertrag in diesem Fall nicht einseitig aufgelöst, sondern vereinbarungsgemäß durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung (Abberufung) beendet worden sei.

Der OGH hat wiederholt die besondere Stellung eines Vorstands einer AG gegenüber anderen (freien) Dienstnehmern betont. Bei der deutlichen Mehrheit der Vorstandsmitglieder könne keine Rede davon sein, dass sie sich im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation in einer gleichen oder ähnlichen Lage befinden wie die breite Masse der Arbeitnehmer und daher ebenfalls ein erhebliches Maß an sozialer Schutzbedürftigkeit aufweisen; sie seien nämlich augenscheinlich selbst in der Lage, sich eine "standesgemäße" Rechts- und Einkommensposition am Verhandlungstisch zu verschaffen. Auch die typischerweise zu unterstellende beiderseitige Interessenlage spricht durchaus dafür, eine Vereinbarung zuzulassen, die es der AG ermöglicht, das neben der organschaftlichen Tätigkeit bestehende Anstellungsverhältnis nicht länger fortbestehen zu lassen, wenn der betreffende Dienstnehmer die Vorstandsfunktion verliert, wurde er doch regelmäßig gerade deshalb angestellt, um diese Organfunktion auszuüben; kann er nicht mehr als Vorstand tätig sein, besteht gewöhnlich kein weiteres Interesse der AG an einem Fortbestehen des Anstellungsvertrags.

Um einem (ehemaligen) Vorstandsmitglied aber jenen gesetzlichen Mindestschutz zukommen zu lassen, den auch das Dienstvertragsrecht des ABGB - iZm der (vom Dienstnehmer nicht verschuldeten) Auflösung unbefristeter Dienstverhältnisse - vorsieht (§§ 1159 ff ABGB), darf eine (grundsätzlich zulässige) Koppelungsklausel nicht dazu führen, dass mit Eintritt der vereinbarten auflösenden Bedingung, also der Wirksamkeit seiner Abberufung von seiner Organfunktion, auch das Dienstverhältnis unverzüglich beendet wird und ab diesem Zeitpunkt sämtliche Ansprüche aus dem Dienstvertrag erlöschen. Wie auch der BGH ausgeführt hat, dienen die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften über die Auflösung eines Dienstverhältnisses unter Einhaltung einer bestimmten Kündigungsfrist va auch dazu, den Dienstnehmer insoweit vor dem Eintritt wirtschaftlicher Nachteile zu schützen, als es ihm ermöglicht wird, innerhalb dieser Frist eine neue Beschäftigung zu suchen. Wird der Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds nun - wie im vorliegenden Fall - aufgrund einer Koppelungsklausel mit seiner Vorstandsfunktion verknüpft und verliert er letztere, weil er vom Aufsichtsrat nach einem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung - ohne Vorliegen eines schuldhaften Verhaltens vom Gewicht eines Entlassungsgrundes - abberufen wurde, endet der Anstellungsvertrag nicht sofort, sondern erst nach Ablauf der gesetzlich für eine ordentliche Kündigung vorgesehenen (Kündigungs-)Frist zum folgenden Kündigungstermin. Diese Frist beginnt regelmäßig mit jenem Zeitpunkt, zu dem das Vorstandsmitglied unter Hinweis auf den Vertrauensentzug von seiner Abberufung verständigt wird; erst dann ist ja für ihn zu erkennen, dass er sich um eine andere berufliche Tätigkeit umsehen muss. Damit entspricht die Rechtsstellung des Klägers im Wesentlichen jener eines (freien) Dienstnehmers, in dessen Anstellungsvertrag sich der Dienstgeber die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung vor Ablauf der an sich vorgesehenen Laufzeit vorbehalten hat. Gegen eine solche Konstruktion bestünden keine grundsätzlichen Bedenken, zumal auch § 75 Abs 1 AktG weder für die Bestellung, noch für den Anstellungsvertrag eine Mindestfrist vorsieht.

Diese Erörterungen sind im vorliegenden Fall deshalb von entscheidender Bedeutung, weil es bei der (schadenersatzrechtlichen) Frage der Ermittlung der gebührenden Kündigungsentschädigung va auch auf den hypothetischen Geschehnisablauf ankommt. Tatsächlich wurde das Dienstverhältnis zum Kläger ja bereits durch die (erste) - unberechtigte - Entlassung beendet, von der er mit Schreiben vom 25. 4. 2003 verständigt wurde. Nach § 1162b ABGB behält der Dienstnehmer bei einer ungerechtfertigten Entlassung - wenn auch nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen - "seine vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit oder durch ordnungsgemäße Kündigung hätte verstreichen müssen". Angesichts der hier vorliegenden (grundsätzlich unbedenklichen) Koppelungsklausel erfasst die Kündigungsentschädigung somit jenen Zeitraum, der zwischen der unberechtigten Entlassung und jenem Zeitpunkt gelegen ist, zu dem das Dienstverhältnis geendet hätte, wenn die Beklagte (erst) den (nicht offenbar unsachlich motivierten) Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung zum Anlass genommen hätte, den Kläger von seiner Vorstandsfunktion abzuberufen. Dass eine solche Abberufung erfolgt wäre und das Dienstverhältnis lange vor Ablauf der an sich vorgesehenen Vertragsdauer geendet hätte, kann angesichts des festgestellten Sachverhalts nicht zweifelhaft sein, ist die Beklagte doch tatsächlich - vorsichtshalber - später in diesem Sinn vorgegangen.