27.05.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Hacklerregelung - zur Frage, ob § 607 Abs 12 ASVG idF SRÄG 2008 auch auf bereits zuerkannte Pensionen anzuwenden ist

Gem § 223 Abs 2 ASVG ist der Stichtag nicht nur maßgeblich für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung eine Leistung zu gewähren ist, sondern auch für die Frage, in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt; die Leistungsberechnung erfolgt daher nach der Rechtslage zum jeweiligen Stichtag; durch die Neuregelung des SRÄG 2008 wird kein neuer Stichtag ausgelöst, zu dem der Pensionsanspruch des Klägers neu zu prüfen wäre


Schlagworte: Langzeitversichertenregelung, bereits zuerkannte Pension, Neuberechnung, Krankengeldzeiten, Ausübungsersatzzeiten, Übergangsbestimmung
Gesetze:

§ 607 Abs 12 ASVG, § 637 ASVG, § 223 Abs 2 ASVG

GZ 10 ObS 26/10m, 23.03.2010

Der Kläger bezieht seit 1. 12. 2007 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Mit Eingabe vom 19. 12. 2008 beantragte er bei der beklagten Partei die Neuberechnung seiner Pension unter Berücksichtigung der neuen Anrechnung von Pensionszeiten nach § 607 Abs 12 ASVG idF des SRÄG 2008, BGBl I 2008/129, ("Hacklerregelung").

Mit Bescheid vom 12. 1. 2009 wies die beklagte Partei diesen Antrag des Klägers ab, weil er bereits seit 1. 12. 2007 Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer habe und die mit § 607 Abs 12 ASVG idF BGBl I 2008/129 erfolgte Neuregelung gem § 637 Abs 1 ASVG erst mit 1. 8. 2008 in Kraft getreten sei.

Der Revisionswerber macht geltend, eine Differenzierung dahingehend, dass die nunmehrige Berücksichtigung von Zeiten des Krankengeldbezugs und der sog Ausübungsersatzzeiten iSd "Hacklerregelung" nur Pensionswerbern, die vor dem 1. 8. 2008 keinen Anspruch auf vorzeitige Alterspension hatten, zu Gute kommen bzw bei deren Pensionshöhe berücksichtigt werden solle, hingegen bei Pensionswerbern, die bereits vor dem 1. 8. 2008 einen Anspruch auf vorzeitige Alterspension hatten, unberücksichtigt bleiben solle, dem Gesetz nicht zu entnehmen sei.

OGH: Mit dem SRÄG 2008 wurde die Langzeitversichertenregelung ("Hacklerregelung") um (weitere) drei Jahre bis 2013 verlängert. Damit wird Frauen, die vor dem 1. 1. 1959 (bisher 1. 1. 1956) geboren sind und mindestens 480 Beitragsmonate erworben haben, mit Vollendung des 55. Lebensjahres sowie Männern, die vor dem 1. 1. 1954 (bisher 1. 1. 1951) geboren sind und mindestens 540 Beitragsmonate erworben haben, mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Möglichkeit eröffnet, abschlagsfrei in Pension zu gehen (vgl § 607 Abs 12 ASVG). Im Rahmen dieser Schutzbestimmung für Langzeitversicherte gelten bestimmte Ersatzzeiten -wie jene für Kindererziehung, Wochengeld oder Präsenz- bzw Zivildienst - als Beitragszeiten. Nach § 227 Abs 1 Z 6 ASVG gelten Zeiten, während der die versicherte Person nach dem 31. 12. 1970 Krankengeld bezog, als Ersatzzeiten. Seit dem SRÄG 2008 werden auch Krankengeldzeiten als "Beitragszeiten" iSd § 607 Abs 12 ASVG gewertet und können damit zu einem Anspruch auf eine Pension nach der Langzeitversichertenregelung führen. Auch sog Ausübungsersatzzeiten (Ersatzmonate nach § 116 Abs 1 Z 1 GSVG und § 107 Abs 1 Z 1 BSVG) sind nach § 607 Abs 12 ASVG nunmehr als "Beitragsmonate" zu berücksichtigen.

Strittig ist, wie die Übergangsbestimmung des § 637 ASVG zu verstehen ist.

Die Übergangsbestimmung des § 637 Abs 2 ASVG ist nach Ansicht des erkennenden Senats dahin zu verstehen, dass Pensionswerber, die wegen der ursprünglich fehlenden Krankengeldbezugs- und Ausübungsersatzzeiten die Langzeitversichertenregelung nicht in Anspruch nehmen konnten, nunmehr die Möglichkeit haben, diese rückwirkend zu beantragen. Die Übergangsbestimmung des § 637 Abs 2 ASVG sieht dazu vor, dass sogar rückwirkend (frühestens ab 1. 8. 2008) eine Leistungsgewährung erfolgen kann, wenn sich nunmehr herausstellt, dass durch die Anrechnung von Krankengeldbezugs- oder Ausübungsersatzzeiten bereits zu einem früheren Stichtag die Anspruchsvoraussetzungen vorlagen. Bedingung dafür ist aber eine Antragstellung beim Pensionsversicherungsträger bis spätestens 31. 12. 2008.

Der weitere Passus in § 637 Abs 2 ASVG, wonach die Rechtskraft bereits ergangener Entscheidungen dem nicht entgegensteht, ist iZm der gesamten Übergangsbestimmung zu sehen. Demnach hindern rechtskräftige Entscheidungen nicht die rechtliche Neubeurteilung unter dem Gesichtspunkt der neuen Rechtslage, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die vorzeitige Alterspension nach § 607 Abs 12 ASVG erst unter Berücksichtigung der Kindergeldbezug- und Ausübungsersatzzeiten als Beitragszeiten erfüllt werden. Dies bedeutet nach zutreffender Rechtsansicht der beklagten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung, dass die ergangenen rechtskräftigen Bescheide inhaltlich nur abweisende Bescheide nach § 607 Abs 12 ASVG sein können.

Der Übergangsbestimmung des § 637 Abs 2 ASVG ist jedoch nicht die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen, dass bereits zuerkannte Pensionsansprüche (etwa auch bezüglich einer anderen Pensionsart) unter Berücksichtigung der neuen Langzeitversichertenregelung neu zu berechnen und gegebenenfalls als abschlagsfreie Langzeitversichertenpension gem § 607 Abs 12 ASVG weiter zu gewähren seien. Unabhängig von der Frage, wie der Gesetzgeber eine solche - hier nicht feststehende - Absicht vermutlich verwirklicht hätte, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit Stichtag 1. 12. 2007 bezieht. Gem § 223 Abs 2 ASVG ist der Stichtag nicht nur maßgeblich für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung eine Leistung zu gewähren ist, sondern auch für die Frage, in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt. Die Leistungsberechnung erfolgt daher nach der Rechtslage zum jeweiligen Stichtag. Durch die Neuregelung des SRÄG 2008 wird kein neuer Stichtag ausgelöst, zu dem der Pensionsanspruch des Klägers neu zu prüfen wäre. Davon zu unterscheiden ist die Frage des Anfalls der Leistung iSd § 86 ASVG. Eigenpensionen fallen gem § 86 Abs 3 Z 2 ASVG mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen an, wenn sie auf einen Monatsersten fällt, sonst mit dem der Erfüllung der Voraussetzungen folgenden Monatsersten, sofern die Pension binnen einem Monat nach Erfüllung der Voraussetzungen beantragt wird. Wird der Antrag auf die Pension erst nach Ablauf dieses Monats gestellt, fällt die Pension mit dem Stichtag an.

Durch die Übergangsbestimmung des § 637 Abs 2 ASVG wird der Leistungsanfall für die Langzeitversichertenpension abweichend von der allgemeinen Anfallsregelung des § 86 Abs 3 Z 2 ASVG dahin geregelt, dass die Pension auch bei einer erst späteren Antragstellung (frühestens) ab 1. 8. 2008 gewährt werden kann. Diese Bestimmung derogiert jedoch nicht dem § 223 Abs 2 ASVG. Die Übergangsbestimmung des § 637 Abs 2 ASVG ist daher auf Personen, die - wie der Kläger - bereits vor dem 1. 8. 2008 einen Anspruch auf vorzeitige Alterspension hatten, nicht anzuwenden.