15.07.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG iZm "verfrühter" Anfechtung durch den Arbeitnehmer

Eine "verfrühte" Anfechtung durch den Arbeitnehmer, schon während der Überlegungs- bzw Anfechtungsfrist des Betriebsrats, ist keineswegs unzulässig; in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung muss die materielle Zuordnung des Anfechtungsrechts jedoch beim Kläger gelegen sein; Gleiches gilt für eine Anfechtungsklage, wenn die schriftliche Kündigungserklärung versendet wurde und deren Zugang bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt erfolgt ist


Schlagworte: Anfechtung von Kündigungen, Frist, verfrühte Anfechtung
Gesetze:

§ 105 ArbVG

GZ 9 ObA 26/10d, 11.05.2010

OGH: Richtig ist, dass das Wirksamwerden des Kündigungsschutzes des § 105 ArbVG eine rechtswirksame Kündigung voraussetzt. Im vorliegenden Fall steht der Kündigungswille der Beklagten, die Abgabe der (schriftlichen) Kündigungserklärung und deren Absendung mit der Post nicht in Frage. Ebenso ist der Zugang der Erklärung (auch) an die Klägerin persönlich nicht strittig. Damit stellt sich die Frage nach einer - zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zu beurteilenden - Rechtsunwirksamkeit der Erklärung nicht.

Nach der Rsp ist zwischen der Frage der Einhaltung der formellen Fristen zur Kündigungsanfechtung, die einer prozessualen Frist gleichzuhalten sind, und der materiell-rechtlichen Zuordnung des Anfechtungsrechts zu unterscheiden. Die Bestimmungen über die Anfechtungsfristen in § 105 Abs 4 ArbVG begründen keine prozessuale Sperre für die Erhebung der Anfechtungsklage. In diesem Zusammenhang ist in der Rsp geklärt, dass eine "verfrühte" Anfechtung durch den Arbeitnehmer, schon während der Überlegungs- bzw Anfechtungsfrist des Betriebsrats, keineswegs unzulässig ist. In dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung muss die materielle Zuordnung des Anfechtungsrechts jedoch beim Kläger gelegen sein.

Allgemein ist in der Rsp anerkannt, dass verfrühte Prozesshandlungen grundsätzlich nicht schaden, wenn sie bereits rechtlich möglich sind. Dementsprechend kann ein Rechtsmittel auch schon vor Zustellung der angefochtenen Entscheidung erhoben werden, sofern das Gericht gem § 416 ZPO an seine Entscheidung gebunden ist. Gleiches gilt für eine Anfechtungsklage, wenn - wie hier - die schriftliche Kündigungserklärung versendet wurde und deren Zugang bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt erfolgt ist.