29.07.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: § 15 Abs 1 erster Satz BAG - wird die allgemeine Probezeit von drei Monaten durch die Berufsschule auf sechs Wochen verkürzt?

Es ist kein Grund zu sehen, warum sich die vom Gesetzgeber vorgesehene Dreimonatsfrist rückwirkend auf sechs Wochen verkürzen sollte, nur weil der Lehrling etwa gegen Ende der Dreimonatsfrist mit der Berufsschule beginnt


Schlagworte: Berufsausbildungsrecht, Vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses, Berufsschule
Gesetze:

§ 15 Abs 1 BAG

GZ 9 ObA 39/10s, 11.05.2010

Der aufgrund eines Lehrvertrags seit 7. 7. 2008 bei der Beklagten beschäftigte Kläger sollte den Lehrberuf des KFZ-Technikers erlernen. Der Kläger arbeitete vom Beginn des Lehrverhältnisses bis 2. 9. 2008 im Betrieb der Beklagten und besuchte dann ab 3. 9. 2008 die Berufsschule. Am 19. 9. 2008 wurde von der Beklagten das Lehrverhältnis unter Berufung auf die Probezeit aufgelöst.

Der Kläger begehrt für die Zeit ab 20. 9. 2008 seine Lehrlingsentschädigung als Kündigungsentschädigung bis zum 30. 6. 2009. Er stützt dies darauf, dass, wenn der Lehrling während der ersten drei Monate seine Schulpflicht erfülle, nach § 15 Abs 1 BAG eine Auflösung nur innerhalb einer Probezeit von sechs Wochen erfolgen könne.

Strittig ist die Frage, ob § 15 Abs 1 erster Satz BAG dahin zu verstehen ist, dass der zweite Satzteil nur sicherstellen soll, dass dem Lehrberechtigten sechs Wochen "jedenfalls" zur praxisbezogenen Einschätzung der Eignung des Lehrlings zur Verfügung stehen, ohne dass die Dreimonatsfrist des ersten Satzteils eingeschränkt wird, oder ob im Fall eines Berufsschulbesuchs die Probezeit insgesamt auf diese sechs Wochen der Praxiszeit im Betrieb verkürzt wird.

OGH: Im Wesentlichen unstrittige Zielrichtung des ersten Satzes des § 15 Abs 1 BAG ist es, dem Lehrberechtigten die Möglichkeit zu geben, die Eignung des Lehrlings für den Lehrberuf einzuschätzen. Dieser Ansatz spricht dafür, dass das Verhältnis der beiden Satzteile des ersten Satzes dahin zu verstehen ist, dass die sechs Wochen dem Lehrberechtigten "jedenfalls" zur unmittelbaren Einschätzung der Eignung des Lehrlings zur Verfügung stehen sollen, und zwar auch dann, wenn der Lehrling wegen des Berufsschulbesuches so lange abwesend ist, dass von den drei Monaten nicht einmal dieser Zeitraum für die Tätigkeit im Betrieb verbleibt. Eine Einschränkung des Dreimonatszeitraums wäre unter dem Aspekt der Zielrichtung der praktischen Erprobung unverständlich. Es ist kein Grund zu sehen, warum sich die vom Gesetzgeber vorgesehene Dreimonatsfrist rückwirkend auf sechs Wochen verkürzen sollte, nur weil der Lehrling etwa gegen Ende der Dreimonatsfrist mit der Berufsschule beginnt.