29.07.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Haftung für Unfälle auf Baustellen - Haftung des Baumeisters gegenüber verunfallten Arbeitnehmer wegen der unterlassenen Aufforderung des Bauherrn zur Bestellung eines gesetzlich notwendigen Baustellenkoordinators?

Der verunfallte Arbeitnehmer kann gegen den Baumeister keine Direktansprüche aus einer Schutzgesetzverletzung (durch die Nichterfüllung der behaupteten Hinweispflichten gegenüber der Bauherrin und den anderen auf der Baustelle tätigen Werkunternehmern) ableiten


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arbeitnehmerschutzrecht, Bauarbeitenkoordinationsrecht, Baumeister, unterlassenen Aufforderung des Bauherrn zur Bestellung eines gesetzlich notwendigen Baustellenkoordinators
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, BauKG, ASchG

GZ 7 Ob 17/09i, 03.03.2010

Die Beklagte war mit der Durchführung der Baumeisterarbeiten beauftragt. Der Kläger war am 13. 10. 2004 auf der Baustelle als Mitarbeiter seines Arbeitgebers Elektro B***** GmbH mit Elektroarbeiten befasst. Dabei versuchte er, durch eine Öffnung der Kellerdecke über eine Anlegeleiter in den Kellerraum zu gelangen. Als er die Leiter bestieg, rutschte diese weg und der Kläger stürzte 5 m tief auf den Betonboden, wodurch er schwer verletzt wurde.

Der Kläger begehrt aus diesem Unfall von der beklagten BauGmbH Schadenersatz. Dazu bringt er vor, die dortige Leiter sei von der Beklagten auf die Baustelle gebracht und nach Abschluss der Bauarbeiten über Ersuchen des Architekten DI P***** auf der Baustelle belassen worden. Die Bauherrin habe - entgegen ihren diesbezüglichen gesetzlichen Verpflichtungen nach dem BauKG - weder einen Baustellenkoordinator noch einen Projektleiter bestellt, eine Vorankündigung iSd § 6 BauKG unterlassen und auch keinen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGe-Plan) erstellt. Der Beklagten sei erkennbar gewesen, dass kein Baustellenkoordinator bestellt worden sei. Sie wäre verpflichtet gewesen, die Bauherrin und die anderen Unternehmer über das Fehlen eines Baustellenkoordinators zu unterrichten. "Mit ihrer Unterlassung" habe sie grob fahrlässig (auch) gegen ihre Verpflichtung verstoßen, mit anderen Werkunternehmern zusammenzuarbeiten und ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der Gefahrenverhütung zu koordinieren und einander über die Gefahren zu informieren (hier va über die aus der unterlassenen Bestellung eines Baustellenkoordinators resultierende Gefahr [§ 8 Abs 1 ASchG]). Wäre die Beklagte dieser Informationspflicht nachgekommen und hätte sie die Bestellung eines Baustellenkoordinators (und Erstellung eines SiGe-Planes) bei der Bauherrin eingefordert, hätte diese den Anforderungen entsprochen. Die Haftung der Beklagten ergebe sich auch aus dem von ihr mit dem Bauherrn abgeschlossenen Werkvertrag, der Schutzwirkungen zu Gunsten der Dienstnehmer der anderen beteiligten Unternehmen - hier des Klägers - aus der Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber Dritten entfalte. Die Beklagte habe allen der Verhinderung von Gefahren dienenden Normen, insbesondere §§ 3, 7, 8 und 10 ASchG, zuwidergehandelt und daher auch mehrfach gegen Schutzgesetze verstoßen. Sie hafte nach dem Ingerenzprinzip, weil die von ihrer Leiter ausgehende Gefahr nicht beseitigt worden sei.

OGH: Wie der OGH bereits mehrfach ausgesprochen hat, ist es Ziel des seit 1. 7. 1999 die Baustellen-Richtlinie umsetzenden BauKG (BGBl I 37/1999), die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen durch die Koordinierung bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauarbeiten zu gewährleisten. Über die gem § 1 Abs 5 BauKG unberührt bleibenden Verpflichtungen der Arbeitgeber, nach dem ASchG für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit zu sorgen, hinaus, sollen Pflichten primär des Bauherrn sowie der von ihm mit der Erfüllung von (ursprünglich) Bauherrnpflichten betrauten Koordinatoren begründet werden. Das BauKG richtet sich damit in erster Linie an den Bauherrn, also an denjenigen, der das wirtschaftliche Risiko aus der Errichtung des Bauwerks trägt und an der Spitze der "Haftungspyramide" steht.

Den Baustellenkoordinator treffen im Interesse des Arbeitnehmerschutzes umfangreiche, in § 5 BauKG ausführlich beschriebene Koordinations-, Organisations-, Überwachungs- und Informationspflichten.

Gem § 3 Abs 1 BauKG trifft den Bauherrn die Verpflichtung, für die Ausführungsphase einen Baustellenkoordinator zu bestellen, wenn auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber tätig werden. Die früher auf die Fürsorgepflicht des Werkbestellers gem § 1169 ABGB gestützte Koordinationspflicht des Bauherrn wird nunmehr im Regelungsbereich des BauKG durch dieses als Schutzgesetz konkretisiert. Das BauKG als lex specialis verdrängt insoweit den bisherigen Ansatz bei § 1169 ABGB.

Bestellt der Bauherr - wie hier - keinen Baustellenkoordinator, trägt er selbst die Verantwortung für die diesem vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben. Die - in diesem Fall den Bauherrn selbst treffende - Haftung für eine allfällige Pflichtverletzung des Baustellenkoordinators ist mangels besonderer Regelung nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Danach stellt sich der Pflichtenkatalog des BauKG als Schutzgesetz zu Gunsten der Arbeitnehmer iSd § 1311 ABGB dar, wie sich dies schon völlig unzweifelhaft aus dem im § 1 Abs 1 BauKG beschriebenen Gesetzeszweck ergibt. Kommt ein Arbeitnehmer infolge fehlender Sicherheitsvorkehrungen zu Schaden, so liegt darin eine Schutzgesetzverletzung, auf die nach der Rsp die Beweislastumkehr gem § 1298 ABGB zur Anwendung kommt. Der Baustellenkoordinator ist Sachverständiger iSd § 1299 ABGB und haftet daher für die inhaltliche Fachgerechtigkeit seiner Leistungen.

Da die den Koordinatoren auferlegten Pflichten weit über die gem § 1169 ABGB bestehende Fürsorgepflicht hinausreichen, erfolgt damit eine gewaltige Ausweitung der Bauherrnpflichten. Für den Bauherrn ist es daher ganz wesentlich, zu wissen, wann er Koordinatoren bestellen muss. Einer diesbezüglichen Hinweispflicht des Werkunternehmers gegenüber dem Bauherrn, auf die sich der Kläger berufen will, kommt demnach va im Verhältnis zwischen diesen Vertragsparteien Bedeutung zu; würde doch die Unterlassung eines solchen Hinweises Aufklärungs- und Schutzpflichten verletzen, die der Werkunternehmer gegenüber dem Bauherrn einzuhalten hat, wenn dadurch bei ihm die dargelegte massive Pflichtenvermehrung eintritt.

Mit den aus der Verletzung einer die Beklagte treffenden Hinweispflicht abgeleiteten Direktansprüchen des Klägers gegen die Beklagte hat dies hingegen nichts zu tun. Auch Egglmeier-Schmolke vertritt in diesem Zusammenhang daher lediglich den Standpunkt, der Unternehmer könnte im Fall einer Haftung des Bauherrn für einen geschädigten Arbeitnehmer "regresspflichtig" werden, wenn er ihn zB über die Notwendigkeit eines SiGe-Planes nicht oder falsch aufgeklärt hätte; hierher gehöre auch die Verpflichtung des Unternehmers, den Bauherrn auf eine verpflichtende Koordinatorenbestellung hinzuweisen.

Durch solche, hier unterlassene Hinweise sind die Interessen des Klägers also gar nicht betroffen; ändert sich doch für ihn durch die unterbliebene Bestellung eines Baustellenkoordinators lediglich die Person des Haftpflichtigen, nicht aber der Haftungsumfang. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Kläger gegen die Beklagte daher keine Direktansprüche aus einer Schutzgesetzverletzung (durch die Nichterfüllung der behaupteten Hinweispflichten gegenüber der Bauherrin und den anderen auf der Baustelle tätigen Werkunternehmern) ableiten.

Die Berechtigung des vom Kläger erhobenen Schadenersatzanpruchs hängt vielmehr davon ab, ob der Beklagten ein ursächlicher Verstoß gegen andere bestehende Rechtsvorschriften vorzuwerfen ist.