05.08.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge des Betriebsüberganges - zur Auslegung des § 4 Abs 2 AVRAG

Die Gewährung einer - auf die Normalarbeitszeit anzurechnenden - Ersatzruhezeit für den Nachtdienst ist kein (zusätzliches) Entgelt für die Zurverfügungstellung von Arbeitskraft; unter "Entgelt" wird regelmäßig jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, verstanden; daher sind die dafür zu erbringenden Arbeitsleistungen von § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG grundsätzlich nicht erfasst


Schlagworte: Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge des Betriebsüberganges, Normalarbeitszeit, Entgelt
Gesetze:

§ 4 Abs 2 AVRAG

GZ 9 ObA 8/10g, 26.05.2010

OGH: Nach der Regierungsvorlage zum AVRAG soll es zu einem "statischen Festschreiben des dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang gebührenden Kollektivvertragsentgelts" kommen. Das Ergebnis der Anwendung des § 4 Abs 2 AVRAG soll auf einzelvertraglicher Basis eine "Überzahlung" oder ein "Istlohn" gegenüber dem nunmehr neu anzuwendenden Kollektivvertrag sein. Im Wesentlichen wird davon ausgegangen, dass es darum geht, die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Entgeltsdifferenz zwischen den Kollektivverträgen zu sichern.

Der Tenor der Ausführungen der Revision des Klägers liegt darin, dass eine Veränderung der Arbeitsleistung im Rahmen des "Synallagmas" zwischen Arbeitsleistung und "Entgelt" auch "entgeltrechtlichen" Charakter haben müsse.

Genau dieser Grundgedanke lässt sich aber § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG nicht entnehmen. Liegt es doch allgemein im Wesen des Arbeitsvertrags, dass bei diesem Vertragstypus sowohl Entgelt als auch Arbeitsleistung nicht präzise festgelegt werden müssen, sondern jeweils auf das "angemessene" Entgelt und die "angemessenen" bzw "ortsüblichen" Leistungen abgestellt wird (§ 6 AngG, aber auch §§ 1153, 1154 ABGB). Das Gesetz legt für den Fall der mangelnden vertraglichen Konkretisierung eine Festlegung durch "Angemessenheit" fest (vgl allerdings zum Ausmaß der Arbeitszeit auch § 19d Abs 1 AZG).

Sowohl auf der "Entgeltseite" als auch auf der Seite der zu leistenden "Dienste" wirken auf dieses Arbeitsverhältnis va die Kollektivverträge "normativ" ein. Sie legen regelmäßig zum Schutz der Arbeitnehmer "Mindeststandards" fest. Diese Mindeststandards können sich durch einen Kollektivvertragswechsel ändern.

Die Regelung des § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG erfasst nur Bestimmungen hinsichtlich des "Entgelts" und auch nur soweit es im früher anzuwendenden Kollektivvertrag für die regelmäßige Arbeitsleistung in der "Normalarbeitszeit" festgelegt war.

Unter "Entgelt" wird regelmäßig jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, verstanden. Daher sind die dafür zu erbringenden Arbeitsleistungen von § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG grundsätzlich nicht erfasst.

Dass durch den Kollektivvertragswechsel etwa durch die Veränderungen der zu erbringenden Arbeitsleistungen deutliche Verschlechterungen eintreten können und dies vom Gesetzgeber auch bewusst in Kauf genommen wurde, ergibt sich schon aus der Bestimmung des § 3 Abs 5 AVRAG. Diese räumt ja dem Arbeitnehmer ua für den Fall, dass durch den Kollektivvertragswechsel wesentliche Verschlechterungen eintreten, ein besonderes Auflösungsrecht ein.

Dadurch dass der Gesetzgeber aber ausdrücklich nur auf das "Entgelt" abgestellt hat, hat er im Ergebnis klar zum Ausdruck gebracht, dass es ihm nicht um das Festhalten des nach dem alten Kollektivvertrag bestehenden "Synallagmas" zwischen Entgelt und Arbeitsleistung geht, sondern nur um das Festhalten eines Schutzes des Arbeitnehmers vor einer Minderung des Entgelts für die in der "Normalarbeitszeit" zu erbringende Arbeitsleistung.

Was unter dem vor Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der "Normalarbeitszeit" gebührenden kollektivvertraglichen Entgelt zu verstehen ist, ist teilweise unklar. Der Begriff "Normalarbeitszeit" findet sich im AZG, allerdings zumeist in der Funktion einer Grenze (§ 3 AZG). Die konkrete Festlegung des Ausmaßes "Normalarbeitszeit" wird aber jedenfalls auch den Kollektivvertragsparteien zugeordnet. Unter "Normalarbeitszeit" wird dabei der im Vollarbeitsverhältnis zu leistende und zu bezahlende Normalfall verstanden. § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG sichert insoweit den Arbeitnehmern das Entgelt, mit dem sie nach dem früheren Kollektivvertrag gesichert rechnen konnten.

Hier hat nun der früher anzuwendende Kollektivvertrag den Arbeitnehmern für die Nachtarbeit kein zusätzliches Entgelt zugesichert, mit dem sie rechnen konnten, sondern nur eine Verringerung der Arbeitspflicht. Der Kläger kann aber für die zu erbringende Arbeit in der "Normalarbeitszeit", auf deren Entlohnung er gesichert Anspruch hat, kein höheres Entgelt verlangen, als ihm davor zugestanden ist.

Dass Veränderungen im arbeitszeitrechtlichen Bereich - mögen diese bei der Abrechnung auch entgeltrechtliche Konsequenzen haben - nicht als "entgeltrechtliche Regelungen" einzustufen sind, geht auch schon aus der Rsp des OGH zur Frage der Ersatzruhe hervor. Wurde doch die Gewährung einer Ersatzruhe für Nachtdienste nicht als "zusätzliches" Entgelt für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft qualifiziert, sondern als Frage der Verteilung der Arbeitszeit.

Weiters hat der erkennende Senat erst jüngst festgehalten, dass etwa die Änderung der arbeitszeitrechtlichen Bedingungen dahin, dass die Essensaufnahme als Pausenzeit aus der Arbeitszeit herauszurechnen ist, während diese davor im Rahmen der Arbeitszeit erfolgen konnte, keine entgeltrechtliche Regelung darstellt.

Jedenfalls hier, wo es nur um eine Frage der Gestaltung der Arbeitszeit und deren Ausmaßes innerhalb der Normalarbeitszeit geht, kann sich der Kläger nicht auf den entgeltbezogenen Schutz des § 4 Abs 2 erster Satz AVRAG berufen.