05.08.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gem § 107 Abs 1 ASVG - zu den einzelnen Rückforderungstatbeständen

Die ersten beiden in § 107 Abs 1 Satz 1 ASVG genannten zwei Tatbestände der bewusst unwahren Angaben (1. Fall) und des bewussten Verschweigens maßgebender Tatsachen (2. Fall) setzen zumindest bedingten Vorsatz (dolus eventualis) voraus; zur Anwendung der beiden weiteren Rückforderungstatbestände (3. und 4. Fall) genügt jedenfalls Fahrlässigkeit; der 4. Fall setzt kein dem Empfänger konkret vorwerfbares Verhalten voraus, zu prüfen ist allein, ob der Leistungsempfänger den nicht bzw nicht in dieser Höhe gebührenden Leistungsbezug "erkennen musste", dh ob dem Empfänger - unter Voraussetzung gewöhnlicher (durchschnittlicher) geistiger Fähigkeiten - bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte


Schlagworte: Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen, Krankengeld
Gesetze:

§ 107 Abs 1 ASVG

GZ 10 ObS 149/09y, 01.06.2010

OGH: Nach § 107 Abs 1 Satz 1 ASVG hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger den Bezug durch- (1. Fall) bewusst unwahre Angaben,- (2. Fall) bewusstes Verschweigen maßgebender Tatsachen oder- (3. Fall) Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat oder- (4. Fall) wenn der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Die ersten drei Rückforderungstatbestände sind dadurch gekennzeichnet, dass der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger den Bezug durch ein bestimmtes Verhalten herbeigeführt hat. Wie aus dem Gesetzeswortlaut hervorgeht, muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Zahlungs- bzw Leistungsempfängers und dem Bezug der Geldleistung bestehen.

Die ersten beiden in § 107 Abs 1 Satz 1 ASVG genannten zwei Tatbestände der bewusst unwahren Angaben (1. Fall) und des bewussten Verschweigens maßgebender Tatsachen (2. Fall) setzen zumindest bedingten Vorsatz (dolus eventualis) voraus. Auch der VwGH leitet - zur Parallelbestimmung in § 25 Abs 1 AlVG - aus den Begriffen "unwahr" (und nicht bloß "unrichtig") bzw "Verschweigen" das Erfordernis einer subjektiven Komponente ab, mit der Konsequenz, dass von demjenigen das Arbeitslosengeld nicht zurückgefordert werden kann, der zwar objektiv falsche Angaben, jedoch in unverschuldeter Unkenntnis vom wahren Sachverhalt gemacht hat.

Zur Anwendung der beiden weiteren Rückforderungstatbestände (3. und 4. Fall) genügt nach der Judikatur jedenfalls Fahrlässigkeit.

Der Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 Satz 1 4. Fall ASVG setzt kein dem Empfänger konkret vorwerfbares Verhalten voraus; zu prüfen ist allein, ob der Leistungsempfänger den nicht bzw nicht in dieser Höhe gebührenden Leistungsbezug "erkennen musste", dh ob dem Empfänger - unter Voraussetzung gewöhnlicher (durchschnittlicher) geistiger Fähigkeiten - bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Bei Gewährung einer laufenden Leistung genügt es, wenn der Empfänger ernstlich die Möglichkeit in Betracht ziehen hätte müssen, dass ihm die Leistung zu Unrecht gewährt wird.

Schon mehrfach hat der OGH zu § 107 Abs 1 ASVG ausgesprochen, dass in Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung zwar formell der Rückzahlungspflichtige als Kläger aufzutreten hat, die materielle Klägerrolle jedoch dem beklagten Versicherungsträger zukommt, der im gerichtlichen Verfahren zumindest einen Rückforderungstatbestand iSd § 107 Abs 1 ASVG zu behaupten und zu beweisen hat.