05.08.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, ob bei gleichzeitiger Ausübung mehrerer Tätigkeiten auch eine Tätigkeit, die im Vergleich zu den sonst in diesem Zeitraum gleichzeitig ausgeübten Tätigkeiten sowohl in zeitlicher und finanzieller als auch in arbeitsumfänglicher Sicht wesentlich in den Hintergrund tritt, den Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG allein begründen kann

Auch dann, wenn mehrere Tätigkeiten parallel ausgeübt werden, ist für die Charakterisierung der "einen Tätigkeit" iSd § 255 Abs 4 ASVG die Gesamttätigkeit maßgeblich


Schlagworte: Pensionsversicherung, Invaliditätspension, Alterspension, Tätigkeitsschutz, gleichzeitige Ausübung mehrerer Tätigkeiten, Gesamttätigkeit, Verweisbarkeit
Gesetze:

§ 255 Abs 4 ASVG

GZ 10 ObS 18/10k, 01.06.2010

Der am 11. 8. 1947 geborene Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 10. 2004) insgesamt 16 Beitragsmonate als Malerhelfer, 68 Beitragsmonate als angelernter Maler und Anstreicher und 58 Beitragsmonate als Elektrohelfer erworben. Darüber hinaus hat der Kläger zufolge seiner zwischen August 1991 und Dezember 2002 nebenberuflich ausgeübten Hausbesorgertätigkeit 14 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben (die übrigen "Hausbesorgerzeiten" überschneiden sich mit den Tätigkeiten als Malerhelfer, als Maler und Anstreicher und als Elektrohelfer). Solcherart liegen beim Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag insgesamt 156 Beitragsmonate der Pflichtversicherung vor.

OGH: § 255 Abs 4 ASVG stellt auf Kalendermonate der Ausübung der Tätigkeit und nicht auf Beitragszeiten ab, weshalb es ohne Bedeutung ist, dass der Kläger rein aus der Hausbesorgertätigkeit lediglich 14 Beitragsmonate erworben hat. Auch die wirksame Beitragsentrichtung ist keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 255 Abs 4 ASVG.

§ 255 Abs 4 ASVG differenziert nicht nach der Höhe des vom Versicherten für seine Tätigkeit erzielten Entgelts oder nach dem Ausmaß der Tages- oder Wochenarbeitszeit für diese Beschäftigung (Vollzeitbeschäftigung oder Teilzeitbeschäftigung).

Die Rsp legt an das Kriterium der "einen Tätigkeit" keine allzu strengen Maßstäbe an und versteht das Wort "eine" nicht als Zahlwort. Vielmehr können mehrere, unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den "Kernbereich") sehr ähnliche Tätigkeiten zu "einer Tätigkeit" zusammengefasst werden.

Diese "eine" Tätigkeit, in ihrer Gesamtheit betrachtet, stellt die Grundlage für die in einem zweiten Schritt vorzunehmende Beurteilung zumutbarer Änderungen dar. Erst in diesem zweiten Schritt können Teiltätigkeiten der bisherigen Tätigkeit als zumutbare Verweisungsberufe "herausgelöst" werden, sofern sie in der früheren "einen" Tätigkeit nicht nur eine untergeordnete Rolle spielten.

Es liegt daher nahe, dass auch dann, wenn mehrere Tätigkeiten parallel ausgeübt werden, für die Charakterisierung der "einen Tätigkeit" die Gesamttätigkeit maßgeblich ist. Auch diesbezüglich ist es zu keiner Änderung gegenüber der Rechtslage vor dem SVÄG 2000 gekommen: Zu den Vorgängerbestimmungen wurde vom OLG Wien als damals in Sozialrechtssachen letztinstanzlich entscheidenden Gericht bereits vertreten, dass die Gesamttätigkeit die Grundlage für die Beurteilung einer möglichen Verweisbarkeit bildet.

Unter dieser Prämisse war der Kläger in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag - setzt man nur aus Gründen der Vereinfachung Kalendermonate der Tätigkeitsausübung und Beitragsmonate gleich- in 16 "Monaten" als Malerhelfer sowie als Malerhelfer und Hausbesorger,- in 68 "Monaten" als angelernter Maler und Anstreicher, kombiniert mit Hausbesorgertätigkeit,- in 58 "Monaten" als Elektrohelfer, kombiniert mit Hausbesorgertätigkeit, und- in 14 "Monaten" nur als Hausbesorger tätig.

Bei Charakterisierung der Gesamttätigkeit lag der zeitliche und arbeitsumfängliche Schwerpunkt der "kombinierten" Tätigkeit ganz eindeutig bei der Nicht-Hausbesorgertätigkeit. Es ist daher nicht möglich, aus der umfänglich nur zu einem kleinen Teil gleichen Tätigkeit (nämlich als Hausbesorger) abzuleiten, dass nun die Tätigkeit als Elektrohelfer und Hausbesorger (58 Monate) zusammen mit der Tätigkeit als Maler(-gehilfe) und Hausbesorger als "eine Tätigkeit" iSd § 255 Abs 4 ASVG angesehen werden könnten. Vielmehr kommt der Kläger weiterhin auf höchstens 84 Kalendermonate (16 + 68) "einer" Tätigkeit im maßgeblichen Zeitraum von 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag. Damit erfüllt er die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht und ist nach § 255 Abs 3 ASVG verweisbar.