12.08.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Verweisbarkeit - Zumutbarkeit eines Wohnsitzwechsels oder eines Wochenpendelns bei nur noch möglicher Teilzeitbeschäftigung?

Grundsätzlich ist vom Versicherten zu verlangen, dass er - sofern nicht medizinische Gründe dem entgegenstehen - durch entsprechende Wahl seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herstellt, die für Arbeitnehmer im Allgemeinen gegeben sind; dies schließt jedoch im Einzelfall nicht aus, dass mit Rücksicht auf den durch die mögliche Teilzeitbeschäftigung erzielbaren geringeren Lohn eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht zumutbar sein kann; insoweit kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalls an


Schlagworte: Invalidität, Berufsunfähigkeit, Verweisbarkeit, Teilzeit, Wohnsitzverlegung, Wochenpendeln
Gesetze:

§ 255 ASVG, § 273 ASVG

GZ 10 ObS 72/10a, 01.06.2010

OGH: Der OGH hat in der E 10 ObS 56/93 ausgesprochen, dass er die Auffassung, dass einem Versicherten, der nur noch Teilzeit arbeiten kann, in der Regel ein Umzug oder ein Wochenpendeln nicht zuzumuten sei und es infolge dessen nur auf den regionalen Arbeitsmarkt ankomme, den der Versicherte durch tägliches Pendeln von seiner Wohnung aus erreichen könne, in dieser Allgemeinheit nicht teilt. Dies beruht auf der Erwägung, dass das Verweisungsfeld und die Anforderungen, die mit der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auch bezüglich der Erreichung des Arbeitsplatzes verbunden sind, in der Regel an den Verhältnissen des gesamten Arbeitsmarkts gemessen werden. Die Lage des Wohnorts im Einzelfall bildet ein persönliches Moment, das bei der Prüfung der Frage, ob Invalidität besteht, außer Betracht zu bleiben hat. In diesem Fall ist grundsätzlich vom Versicherten zu verlangen, dass er - sofern nicht medizinische Gründe dem entgegenstehen - durch entsprechende Wahl seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herstellt, die für Arbeitnehmer im Allgemeinen gegeben sind. Dies schließt jedoch im Einzelfall nicht aus, dass mit Rücksicht auf den durch die mögliche Teilzeitbeschäftigung erzielbaren geringeren Lohn eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht zumutbar sein kann. Insoweit kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalls an.

Dieses Zumutbarkeitskriterium findet sich in § 255 Abs 3 ASVG, wonach ein Versicherter, der nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid gilt, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

Die - von der rein abstrakten Prüfung abweichende - Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall stellt ein Korrektiv dar, das eine Berücksichtigung verschiedener vom gesundheitlichen Befinden unabhängiger Umstände erlaubt. Von Födermayr wird dies pointiert so formuliert, dass es nicht zu rechtfertigen wäre, wenn ein gesundheitlich beeinträchtigter Versicherter durch pensionsrechtliche Verweisungen in den finanziellen Ruin getrieben würde.