19.08.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte (§§ 49 bis 54 RAO) als Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 ASGG?

Da Streitigkeiten über Ansprüche eines Rechtsanwalts auf Versorgungsleistungen nach den §§ 49 ff RAO in der Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG nicht angeführt sind und in den §§ 49 ff RAO auch keine Verweisung auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung bzw auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze enthalten ist (vgl § 100 ASGG), handelt es sich bei diesen Streitigkeiten um keine Sozialrechtssachen iSd § 65 ASGG


Schlagworte: Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte, Sozialrechtssache, Unzulässigkeit des Rechtswegs
Gesetze:

§§ 49 ff RAO, § 65 ASGG, § 42 JN

GZ 10 ObS 76/10i, 22.06.2010

OGH: Da Streitigkeiten über Ansprüche eines Rechtsanwalts auf Versorgungsleistungen nach den §§ 49 ff RAO in der Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG nicht angeführt sind und in den §§ 49 ff RAO auch keine Verweisung auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung bzw auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze enthalten ist (vgl § 100 ASGG), handelt es sich bei diesen Streitigkeiten um keine Sozialrechtssachen iSd § 65 ASGG. Der Rechtszug gegen Bescheide des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer als Verwaltungsbehörde über einen solchen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung geht daher an den VwGH und VfGH (vgl Art 129 ff B-VG). Diese Rechtsansicht entspricht auch der stRsp der beiden Gerichtshöfe öffentlichen Rechts.

Dieser eindeutigen Gesetzeslage hat auch der Kläger selbst Rechnung getragen, indem er gegen die beiden verfahrensgegenständlichen Bescheide des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Beschwerde an den VfGH erhoben hat. Er räumt in seinen Rechtsmittelausführungen auch ausdrücklich ein, dass für ihn aufgrund der geltenden Gesetzeslage keine Klagsmöglichkeit im Rahmen der sukzessiven Kompetenz gegen die beiden Bescheide vor dem Arbeits- und Sozialgericht bestehe. Er ist jedoch der Ansicht, dass ihm in analoger Anwendung des § 65 ASGG eine solche Klagsmöglichkeit offen stehen müsse, da es sich nach der aktuellen Rsp des EGMR bei Streitigkeiten aus dem Bereich der Sozialversicherung (Alterspension) um Streitigkeiten über privatrechtliche Ansprüche iSd Art 6 EMRK handle, worüber ein Gericht ("tribunal") zu entscheiden habe.

Ob eine Sache in den Kompetenzbereich der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden fällt, richtet sich in erster Linie nach der positiv-rechtlichen Zuweisung durch den Gesetzgeber. Ihm sind jedoch gem Art 6 Abs 1 EMRK insofern verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, als über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights") ein unabhängiges und unparteiisches Gericht ("tribunal") zu entscheiden hat. Nach Lehre und neuerer österreichischer Rsp muss daher jedenfalls im Kernbereich der "civil rights" ein Gericht (Behörde mit Tribunal-Qualität) entscheiden; die bloß nachprüfende Kontrolle durch den VwGH und den VfGH reicht hier nicht aus. Eine gesetzliche Verweisung solcher Ansprüche durch einfaches Gesetz vor Behörden, denen keine Tribunal-Qualität iSd Art 6 Abs 1 EMRK zukommt, ist aber dennoch wirksam, solange diese Kompetenzvorschrift nicht durch den VfGH aufgehoben worden ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung, dann stellt sich Art 6 EMRK als Generalklausel dar, die zivilrechtliche Ansprüche dem Gericht zuweist.

Wie bereits dargelegt wurde, ist über Anträge auf Gewährung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwälte (§§ 49 ff RAO) im Verwaltungsweg zu entscheiden (§ 54 RAO). Eine sukzessive Kompetenz der Arbeits- und Sozialgerichte wurde vom Gesetzgeber nicht begründet. Auch für eine analoge Anwendung des § 65 ASGG ist kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Diese positiv-rechtliche Zuweisung durch den Gesetzgeber an die Verwaltungsbehörden ist wirksam, solange die entsprechende Kompetenzvorschrift nicht durch den VfGH aufgehoben worden ist. Die Arbeits- und Sozialgerichte sind hingegen nicht berechtigt, Bescheide von Verwaltungsbehörden dahingehend zu überprüfen, ob die für das Verwaltungsverfahren vorgesehene Verfahrensordnung EMRK-konform ausgestaltet ist. Es ist daher abschließend nur der Vollständigkeit halber noch darauf hinzuweisen, dass nach der Rsp des VfGH Entscheidungen über die Zuerkennung von Pensionen aus der im Rahmen der rechtsanwaltlichen Selbstverwaltung geschaffenen Altersversorgung nicht zu dem traditionellen Kernbereich des Zivilrechts gehören und daher (neben der Möglichkeit, den VfGH anzurufen) die nachprüfende Kontrolle der Entscheidungen der Verwaltungsbehörde (Versorgungseinrichtung) durch den VwGH ausreichend ist.

Da es sich beim gegenständlichen Verfahren somit um keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG handelt, haben die Vorinstanzen die Klage zutreffend wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen.