30.09.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zum erhöhten Pflegebedarf iSd § 4 Abs 5 und 6 BPGG

Die in § 4 Abs 6 BPGG aufgezählten Verhaltensstörungen müssen im Ergebnis (und nicht jede einzelne für sich) eine "schwere Verhaltensstörung" zur Folge haben


Schlagworte: Pflegegeld, Erschwerniszuschlag, schwere geistige / schwere psychische Behinderung, schwere Verhaltensstörung
Gesetze:

§ 4 Abs 5 BPGG, § 4 Abs 6 BPGG

GZ 10 ObS 99/10x, 27.07.2010

OGH: Nach den Erläuternden Bemerkungen soll mit den Regelungen des § 4 Abs 5 und 6 BPGG eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, dass auch bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von pflegebedürftigen Personen ab dem vollendeten 15. Lebensjahr mit einer schweren geistigen oder schweren psychischen Behinderung, insbesondere einer demenziellen Erkrankung, auf die besondere Intensität der Pflege in diesen Fällen Bedacht genommen werden kann. Bei dem Erschwerniszuschlag geht es nach der Intention des Gesetzgebers nicht um eine Graduierung der Schwere der jeweiligen Behinderung iSe diagnosebezogenen Betrachtungsweise, sondern um die Berücksichtigung des Mehraufwands der aus dieser Behinderung erfließenden pflegeerschwerenden Faktoren, die in § 4 Abs 6 BPGG präzisiert sind. Wesentlich für die Berücksichtigung des Erschwernisfaktors sind die Auswirkungen der pflegeerschwerenden Faktoren in der Pflege, die natürlich auch unterschiedlich gewichtet sein können. Diese funktionsbezogene Betrachtungsweise entspricht auch dem grundsätzlichen Konzept des derzeitigen Pflegegeldeinstufungssystems. Es sollen durch den Erschwerniszuschlag pflegeerschwerende Faktoren berücksichtigt werden, die bislang noch nicht Berücksichtigung fanden.

Die in § 4 Abs 6 BPGG angeführten pflegeerschwerenden Faktoren (Defizite der Orientierung, des Antriebs, des Denkens, der planerischen und praktischen Umsetzung von Handlungen, der sozialen Funktion und der emotionalen Kontrolle) werden in den Gesetzesmaterialien wie folgt näher umschrieben:

Störung der Orientierung bedeutet, dass ein Zurechtfinden in zeitlicher, räumlicher und situativer Dimension nicht mehr gegeben ist. Störungen des Antriebs bedeutet, dass die Aktivität verändert ist. Es kommt entweder zu Überreaktionen bis hin zur Aggressivität oder zu fehlender Reaktion bis hin zum vollkommenen Rückzug. Störungen des Denkens bedeutet, dass Gedächtnisleistung, Konzentration und Auffassungsfähigkeit eingeschränkt sind und daher logische Abfolgen nicht entwickelt und erfasst werden können. Störungen der emotionalen Kontrolle bedeutet, dass die Reaktion auf Situationen, Herausforderungen, Belastungen, äußere Eindrücke nicht angemessen ist. Störung der sozialen Funktion bedeutet, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen (zB Familie, Freundeskreis, Arbeitswelt) beeinträchtigt sind. Die angeführten Bereiche steuern in Summe das Verhalten. Schwere Störungen im Verhalten führen zu bedrohlich wahrgenommenen Reaktionen im Alltag und massiven Belastungen sozialer Gefüge. Die Verwendung der Formulierung "in Summe" in § 4 Abs 6 BPGG bedeutet nicht, dass jedes einzelne dieser Defizite vorliegen muss. Vielmehr wird dadurch nur zum Ausdruck gebracht, dass diese insgesamt (in Summe und nicht jede einzelne für sich) eine schwere Verhaltensstörung zur Folge haben. Maßgeblich ist daher im Ergebnis, dass die im § 4 Abs 6 BPGG aufgezählten Defizite eine "schwere Verhaltensstörung" zur Folge haben.