28.10.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage des Feststellungsinteresses eines allfälligen Pensionsschadens infolge nicht kollektivvertragsgemäßer Entlohnung

Ein rechtliches Interesse iSd § 228 ZPO an der Feststellung bereits verjährten Forderungen besteht nicht; der Versicherte trägt im Allgemeinen auch nach der neuen Rechtslage ein - wenngleich wesentlich geringeres - Risiko aus der zu geringen Anmeldung durch den Arbeitgeber und ist schon dies als Schaden zu beurteilen; er kann dieses Risiko jedoch dadurch vermeiden, dass er selbst einen Antrag auf Feststellung bei der zuständigen Verwaltungsbehörde einbringt und dadurch die Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährungfrist bewirkt; der Versicherte ist aus dem Grundsatz der Schadensminderungs- bzw -abwehrpflicht nach § 1304 ABGB sowohl nach der neuen, aber auch nach der alten Rechtslage gehalten, einen Antrag auf Feststellung bei der für die Entscheidung über die richtigen Bemessungsgrundlagen zuständigen Verwaltungsbehörde einzubringen


Schlagworte: Pensionsschaden, Feststellungsklage, Schadenersatzrecht, nicht kollektivvertragsgemäßer Entlohnung, Verjährung, fortgesetzte Schädigung, Primärschaden
Gesetze:

§ 228 ZPO, § 1489 ABGB, §§ 1295 ff ABGB, § 225 Abs 1 Z 1 lit a ASVG, § 68 Abs 1 ASVG

GZ 8 ObA 66/09b, 22.09.2010

OGH: Das Vorliegen des rechtlichen Interesses iSd § 228 ZPO ist in jeder Lage von Amts wegen zu prüfen. Der OGH bejaht in stRsp ein Feststellungsinteresse iSd § 228 ZPO schon dann, wenn nur die Möglichkeit offen bleibt, dass das schädigende Ereignis den Eintritt eines künftigen Schadens verursachen könnte. So wurde etwa das Begehren auf Feststellung, dass ein Arbeitgeber für sämtliche Schäden zu haften habe, die aus der Unterlassung der Anmeldung des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung entstehen, als zulässig anerkannt.

Dass die Beklagte ihn nicht beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet hätte, hat der Kläger nicht vorgebracht. Ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers iSe "Pensionsschadens" ist aber auch dann denkbar, wenn - wie hier behauptet - der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge in zu geringem Umfang abführt. Ein rechtliches Interesse iSd § 228 ZPO an der Feststellung bereits verjährten Forderungen besteht allerdings nicht.

Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden ist. Zwar kann die Verjährung von Ersatzansprüchen nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnen. Haben sich jedoch aus einer einzelnen schädigenden Handlung fortlaufend gleichartige schädliche Folgen entwickelt, die im überschaubaren Zusammenhang stehen und schon ursprünglich voraussehbar waren, so handelt es sich um einen einheitlichen Schaden, der schon durch die erste schädliche Auswirkung entstanden ist. In diesem Fall gilt die durch den ersten Schaden ("Primärschaden") ausgelöste Verjährungsfrist für alle vorhersehbaren Folgeschäden. Daher muss der Geschädigte zur Vermeidung der Verjährung innerhalb dieser Frist entweder eine Feststellungsklage erheben oder ein außergerichtliches Anerkenntnis des Schädigers erwirken.

Der Kläger behauptet, dass die Beklagte rechtswidrig und schuldhaft in zu geringem Umfang Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hat; er macht daher eine für die jeweiligen Beitragszeiträume fortgesetzte Schädigung geltend, bei welcher jede einzelne Unterlassung einer korrekten Abführung den Tatbestand einer neuen Rechtsverletzung verkörpert. Im Fall fortgesetzter Schädigung beginnt die Verjährung für den Ersatz des zuerst entstandenen Schadens mit der Kenntnis des Geschädigten von ihm zu laufen; für jede weitere Schädigung beginnt eine neue Verjährung in dem Zeitpunkt, in welchem sie dem Geschädigten zur Kenntnis gelangt.

Die durch den Schaden ("Primärschaden") ausgelöste Verjährungsfrist gilt dann für alle vorhersehbaren Folgeschäden - Alters-, Invaliditäts-, Hinterbliebenen-pension. Zur Vermeidung der Verjährung innerhalb dieser Frist muss der Geschädigte - wie schon ausgeführt - entweder eine Feststellungsklage erheben oder ein außergerichtliches Anerkenntnis des Schädigers erwirken, hier also wieder bezogen auf den jeweiligen Beitragszeitraum.

Um nun die Frage des Eintritts des Primärschadens iZm allfälligen ASVG-Pensionsansprüchen beurteilen zu können, ist naturgemäß die sozialversicherungsrechtliche Situation des Klägers entscheidend. Maßgebend für die Berechnung der zu zahlenden Beiträge - und in weiter Folge für die Berechnung der Bemessungsgrundlage der Pension - ist das im Bereich des ASVG geltende Anspruchslohnprinzip. Die §§ 44 Abs 1, 49 Abs 1 ASVG stellen auf den Lohn ab, auf den der einzelne Dienstnehmer Anspruch hat.

Es stellt sich aber nun die Frage, welchen Einfluss eine mangelnde korrekte Anmeldung durch den Dienstgeber - diese soll es dem SV-Träger ermöglichen, in kosten- und zeitsparender Form das Verfahren nach dem ASVG durchzuführen - bzw die Unterlassung der Abfuhr der Beiträge als Schuldner aller Beiträge (§ 58 Abs 2 ASVG) hat. Insoweit sind aber mit dem 2. SRÄG 2009, BGBl 83/2009, deutliche Änderungen der Rechtslage eingetreten.

Vorweg kann festgehalten werden, dass offensichtlich sowohl nach der Rechtslage vor als auch nach jener nach dem 2. SRÄG 2009 Zeiten, für die tatsächlich wirksam Beiträge entrichtet wurden, in diesem Umfang als Beitragszeiten gelten; solche Zeiten sind nicht nur der Berechnung des Steigerungsbetrags nach § 261 ASVG, sondern deren Beitragsgrundlagen auch der Ermittlung der Bemessungsgrundlage iSd §§ 238 ff ASVG zugrunde zu legen. Unabhängig davon versucht das ASVG gerade mit der Bestimmung des § 225 Abs 1 Z 1 ASVG (in der Pensionsversicherung in eingeschränktem Umfang) den Grundsatz zu verwirklichen, dass die Versicherung und die Leistungsansprüche grundsätzlich ex lege eintreten und von einer Meldung oder Beitragsentrichtung unabhängig sind. Dazu gehört es eben auch in der Pensionsversicherung, (früher) die Meldung und (nunmehr) - auch - für einen gewissen Zeitraum die bloße Möglichkeit der Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge ausreichen zu lassen. Die neue Fassung des § 225 Abs 1 Z 1 lit a ASVG stellt dabei auf die Feststellungsverjährung iSd § 68 Abs 1 ASVG ab.

Die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge erfolgt in unterschiedlicher Form (vgl § 58 ASVG, aber auch § 355 Z 3 ASVG). Die Beiträge werden in weiterer Folge dann auch von den zuständigen Krankenversicherungsträgern eingetrieben.

Die Frist zur Feststellung nach § 68 Abs 1 ASVG läuft grundsätzlich ab Fälligkeit bzw ab Meldung (wenn diese innerhalb der Verjährungsfrist erfolgte) und wird unter bestimmten Voraussetzungen unterbrochen bzw gehemmt. In § 68 Abs 2 ASVG wird die Verjährung der Einforderung der bereits festgestellten Beitragsschulden geregelt und dabei ua der Mahnung Unterbrechungswirkung zuerkannt.

Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber die Situation der Versicherten offenbar nicht verschlechtern. Es ist daher wohl davon auszugehen, dass die Meldung - diese hat auch die Beitragsgrundlage zu umfassen - dort ausreichend ist, wo es gar keiner bescheidmäßigen Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung der Versicherungsbeiträge bedurfte oder diese bereits erfolgt ist. Es schützt also weiter die korrekte Meldung der Beitragsgrundlagen - auch jede Änderung ist zu melden (§ 34 ASVG) - den Versicherten vor Verlusten bei der Berechnung der Pensionsbemessungsgrundlage.

Zutreffend hat nun die Regierungsvorlage zur Novelle BGBl I 83/2009 das nach der alten Rechtslage bestehende Risiko der Nichtzahlung des Versicherten im Falle einer unrichtigen Meldung und Abfuhr der SV-Beiträge herausgearbeitet. Allein dieses Risiko stellt aber schon einen erheblichen Schaden dar. Nach der neuen Rechtslage sollte das Eintreibungsrisiko dem Versicherten abgenommen werden. Es reicht schon die bloße Möglichkeit der Feststellung aus, wobei auch noch festzuhalten ist, dass die Verjährung ja während eines anhängigen Feststellungsverfahrens gehemmt bzw unterbrochen ist (§ 68 Abs 1 ASVG).

Unter Berücksichtigung des weiten Schadenbegriffs des ABGB ist davon auszugehen, dass der Primärschaden jedenfalls nach der alten Rechtslage im Zeitpunkt der Unterlassung der korrekten Anmeldung der richtigen Beitragsgrundlagen oder der Entrichtung der Beiträge und der dadurch bewirkten vorläufigen zu geringen "Feststellung" der Beitragsgrundlagen eintrat. Dieser Nachteil - jedenfalls nach der alten Rechtslage - musste dem Kläger aber schon aufgrund der Abrechnung seiner Bezüge als Diäten, von denen keine SV-Beiträge abgezogen werden, bewusst sein. Dies bedeutet, dass im jeweiligen Beitragszeitraum also nicht nur der Schaden eingetreten, sondern grundsätzlich auch die Kenntnis des Klägers davon anzunehmen ist. Für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung waren die notwendigen Voraussetzungen vorhanden. Daher sind Ansprüche, die auf Zeiträume entfallen, für die die Meldung mehr als 3 Jahre vor dem Zeitpunkt der Erhebung des Feststellungsbegehrens (24. 11. 2008) liegt, verjährt.

Durch die neue Rechtslage sollte dem Versicherten das Eintreibungsrisiko genommen werden, wenn nur die Möglichkeit des Feststellungsverfahrens noch nicht nach § 68 Abs 1 ASVG verjährt ist. Die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen, aber auch der Anspruchshöhe, erfolgt ausgehend vom Stichtag nach § 223 Abs 2 ASVG, also regelmäßig von dem auf die Antragstellung folgenden Monatsersten. Ob nun zu diesem in der Zukunft liegenden Stichtag rückgerechnet noch ein Recht auf Feststellung iSd § 225 Abs 1 Z 1 lit a ASVG besteht (§ 68 Abs 1 ASVG: binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit; fünf Jahre, wenn der Dienstgeber sorgfaltswidrig keine oder unrichtige Angaben über die bei ihm beschäftigten Personen bzw über deren jeweiliges Entgelt gemacht hat) und dabei ein Schaden für die Pensionsberechnung entsteht ist unsicher. Insoweit trägt der Versicherte im Allgemeinen auch nach der neuen Rechtslage ein - wenngleich wesentlich geringeres - Risiko aus der zu geringen Anmeldung durch den Arbeitgeber und ist schon dies als Schaden zu beurteilen. Jedoch kann der Versicherte dieses Risiko dadurch vermeiden, dass er selbst einen Antrag auf Feststellung bei der zuständigen Verwaltungsbehörde einbringt und dadurch die Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährungfrist bewirkt. In diesem Verfahren hat ja der Versicherte Parteistellung.

Damit kommt aber die aus § 1304 ABGB abgeleitete Rettungspflicht des Geschädigten (hier: des Versicherten) zum Tragen, also die Pflicht, den Schaden abzuwehren bzw möglichst gering zu halten. Der Geschädigte verstößt gegen diese Pflicht, wenn er zumutbare Handlungen unterlässt, die geeignet sind, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, und die - objektiv beurteilt - ein verständiger Durchschnittsmensch setzen würde, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens zu vermeiden. In diesem Sinn ist der Versicherte aus dem Grundsatz der Schadensminderungs- bzw -abwehrpflicht sowohl nach der neuen, aber auch nach der alten Rechtslage gehalten, einen Antrag auf Feststellung bei der für die Entscheidung über die richtigen Bemessungsgrundlagen zuständigen Verwaltungsbehörde einzubringen. Ein solcher Antrag auf Feststellung der richtigen Beitragsgrundlagen verursacht dem Versicherten weder besondere Kosten noch Aufwendungen. Durch die rechtzeitige Feststellung der richtigen Beitragsgrundlage können und konnten aber Schäden auch für die hier noch maßgeblichen letzten 3 Jahre vor Erhebung des Feststellungsbegehrens zur Gänze beseitigt werden.

Ein Anspruch auf Schadenersatz - und damit auch die Berechtigung des Feststellungsbegehrens des Klägers - ist aus diesen Überlegungen für Beitragszeiten, für die durch den bei der zuständigen Verwaltungsbehörde gestellten Feststellungsantrag ein Schaden vermieden hätte werden können bzw vermieden werden kann, wegen der Verletzung der Schadensminderungs- bzw -abwehrpflicht zu verneinen. Anhaltspunkte dafür, dass für die vom Feststellungsbegehren erfassten und noch nicht verjährten Zeiträume ein Feststellungsantrag nicht erfolgreich hätte gestellt werden können, liegen nicht vor.

Wie die Ansprüche nach neuer Rechtslage zu beurteilen sind, wenn der Arbeitgeber den Versicherten überhaupt nicht angemeldet hat oder diesem das Erfordernis eines Feststellungsantrags nicht ersichtlich sein konnte, ist hier nicht zu beurteilen.