11.11.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Fehlende Unterschrift des Lehrlings bei Auflösung des Lehrvertrags - Auflösungsrecht des gesetzlichen Vertreters nach § 152 ABGB?

§ 15 Abs 1 BAG normiert ausdrücklich, dass das Recht zur vorzeitigen Auflösung des Lehrvertrags dem Lehrberechtigten und dem Lehrling zusteht; schon bei einer wörtlichen Auslegung ergibt sich, dass sich das Auflösungsrecht des gesetzlichen Vertreters auf die in § 152 Satz 1 ABGB genannten Dienstverträge, nicht aber auf den dort ausdrücklich ausgenommenen Lehrvertrag bezieht


Schlagworte: Berufsausbildungsrecht, Auflösung des Lehrverhältnisses, fehlende Unterschrift, Auflösungsrecht des gesetzlichen Vertreters
Gesetze:

§ 15 BAO, § 152 ABGB

GZ 8 ObA 63/09m, 22.09.2010

OGH: Die Auflösungserklärung muss von der Lehrvertragspartei, welche die vorzeitige Auflösung des Lehrvertrags bewirken will, in der Regel eigenhändig unterzeichnet werden. An dieser Voraussetzung fehlt es im konkreten Fall, weil die Klägerin die Auflösungserklärung nicht eigenhändig unterzeichnet hat. Dass ihre Mutter die Auflösungserklärung "im Vollmachtsnamen der Klägerin" unterfertigt habe, wurde nicht vorgebracht und auch nicht festgestellt.

Die Rechtsordnung kennt - neben § 15 BAG - auch andere Fälle, in denen ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis nur schriftlich aufgelöst werden kann. Bei derartigen Formgeboten handelt es sich nach hA nicht bloß um Ordnungsvorschriften, sondern um eine Wirksamkeitsvoraussetzung. Das Gebot der Schriftlichkeit bedeutet nach § 886 ABGB im Allgemeinen "Unterschriftlichkeit", es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahme vor. Dies ist hier nicht der Fall. "Unterschriftlichkeit" erfordert in der Regel die eigenhändige Unterschrift unter dem Text. Das Erfordernis der Schriftform soll - neben anderen Zwecken - gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Dem Empfänger der schriftlichen Erklärung soll die Möglichkeit der Überprüfung geboten werden, dass das Schreiben tatsächlich von der zur Abgabe der Erklärung berechtigten Person stammt, was insbesondere durch die Unterschrift verifiziert werden kann. Gerade im hier zu beurteilenden Fall, in dem es um die Unterscheidung zwischen einer Auflösungserklärung des - wie noch zu zeigen sein wird - hiezu nicht berechtigten gesetzlichen Vertreters geht, kommt diesem Umstand naturgemäß besondere Bedeutung zu. Eine rechtswirksame Auflösungserklärung des Lehrverhältnisses durch die Klägerin iSd § 15 BAG liegt hier daher nicht vor.

Die Klägerin berief sich allerdings ausdrücklich auf das Auflösungsrecht des gesetzlichen Vertreters aus wichtigem Grund gem § 152 Satz 2 ABGB.

Schon bei einer wörtlichen Auslegung ergibt sich, dass sich das Auflösungsrecht des gesetzlichen Vertreters auf die in § 152 Satz 1 ABGB genannten Dienstverträge, nicht aber auf den dort ausdrücklich ausgenommenen Lehrvertrag bezieht. Dies wird auch nahezu einheitlich von der Lehre vertreten.

Mangels eines eigenen Auflösungsrechts des gesetzlichen Vertreters konnte die fehlende rechtswirksame Erklärung der Auflösung des Lehrvertrags durch den Lehrling auch nicht durch die Unterschrift der Mutter und die (hier erst nachträglich erteilte) Zustimmung des Vaters ersetzt werden.