11.11.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Führt ein während einer Strafhaft erlittener Arbeitsunfall zu einem Entfall der Wartezeit gem § 235 Abs 3 ASVG?

Dass der Gesetzgeber Arbeitsunfälle von Strafgefangenen iSd § 76 StVG nicht unter die Bestimmung des § 235 Abs 3 lit a ASVG subsumieren wollte, zeigt sich durch die in dieser Gesetzesstelle ausdrücklich erfolgte Bezugnahme auf die §§ 175 ff ASVG, §§ 148c ff BSVG und §§ 90 ff B-KUVG


Schlagworte: Pensionsversicherung, Entfall der Wartezeit, Arbeitsunfall während Strafhaft
Gesetze:

§ 235 Abs 3 ASVG, § 76 StVG

GZ 10 ObS 97/10b, 27.07.2010

OGH: Da Strafgefangene nicht zum Kreis der Dienstnehmer nach § 4 Abs 2 ASVG zu zählen sind, unterliegen sie nicht der Pflichtversicherung gem § 4 Abs 1 ASVG und sind daher auch nicht kranken-, unfall- und pensionsversichert aufgrund dieses Bundesgesetzes. Es liegt daher auch dann keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung vor, wenn der Strafgefangene im Rahmen seiner Arbeitspflicht Arbeitsleistungen erbringt, für die eine Arbeitsvergütung gebührt und die zu einer Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung führt. Die von Strafgefangenen aufgrund einer gesetzlichen und nicht aufgrund einer freiwillig übernommenen Arbeitsverpflichtung erbrachten Arbeitsleistungen unterliegen somit nicht der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung.

Der im vorliegenden Fall allein in Betracht kommende Entfall der Wartezeit gem § 235 Abs 3 lit a erster Fall ASVG setzt voraus, dass der Betroffene zu dem Zeitpunkt, als er den Arbeitsunfall erlitt, in der Pensionsversicherung nach dem ASVG oder einem anderen Bundesgesetz versichert war. Der Zweck dieser Bestimmung geht somit ganz offenbar dahin, den in der Pensionsversicherung Versicherten eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit jedenfalls dann zu gewähren, wenn die Arbeitsfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verloren gegangen ist. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist jedoch nach dem völlig eindeutigen Gesetzeswortlaut, dass der Leistungswerber im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit in der Pensionsversicherung pflicht- oder selbstversichert war. Dieses Anwendungserfordernis erfüllt der Kläger unbestritten nicht.

Der Gesetzgeber hat die Strafgefangenen nicht in die Unfallversicherung nach dem ASVG einbezogen, sondern hat für die Unfallfürsorge für Strafgefangene eine weitgehend eigenständige Regelung in den §§ 76-84 StVG geschaffen. Dass der Gesetzgeber Arbeitsunfälle von Strafgefangenen iSd § 76 StVG nicht unter die Bestimmung des § 235 Abs 3 lit a ASVG subsumieren wollte, zeigt sich auch durch in dieser Gesetzesstelle ausdrücklich erfolgte Bezugnahme auf die §§ 175 ff ASVG, §§ 148c ff BSVG und §§ 90 ff B-KUVG. Durch diese Bezugnahme kommt deutlich zum Ausdruck, dass nur Arbeitsunfälle bzw Berufskrankheiten iS dieser Bestimmungen den Entfall der Wartezeit bewirken können. Auch der Umstand, dass es sich bei der Regelung des Entfalls der Wartezeit nach § 235 Abs 3 ASVG inhaltlich um eine Ausnahmebestimmung handelt, spricht gegen die vom Kläger vertretene extensive Auslegung dieser Bestimmung. Eine planwidrige, durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke liegt daher nicht vor.

Da somit ein Entfall der Wartezeit gem § 235 Abs 3 ASVG im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt und der Kläger unbestritten die Wartezeit für die von ihm begehrte Leistung gem § 236 ASVG nicht erfüllt, musste die Revision erfolglos bleiben.