18.11.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Klage gem § 65 Abs 2 ASGG analog auf Feststellung, dass keine dauernde Dienstunfähigkeit iSd § 14 Abs 1 BDG vorliegt?

Da Streitigkeiten über die dauernde Dienstunfähigkeit iSd § 14 Abs 1 BDG in der Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG nicht angeführt sind und eine Verweisung auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung bzw auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze fehlt, handelt es sich bei dieser Streitigkeit um keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG; für eine analoge Anwendung des § 65 ASGG ist kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt


Schlagworte: Sozialrechtssachen, sachliche Zuständigkeit, Feststellungsklage, Beamtendienstrecht, dauernde Dienstunfähigkeit
Gesetze:

§ 65 ASGG, § 100 ASGG, § 1 JN, § 14 BDG, § 1 DVG, AVG

GZ 10 ObS 128/10m, 14.09.2010

OGH: § 65 ASGG umschreibt den Begriff der Sozialrechtssachen. Die Aufzählung in Abs 1, die Grundlage für die sachliche Zuständigkeit der Gerichtshöfe als Arbeits- und Sozialgerichte in Sozialrechtssachen bildet, ist im Hinblick auf § 100 ASGG nicht taxativ. Die in anderen Rechtsvorschriften enthaltenen Verweisungen auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung sowie auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze gelten nämlich nach § 100 ASGG als Verweisungen auf die Bestimmungen des ASGG und damit auf die Arbeits- und Sozialgerichte. Ein wesentliches Merkmal im Verfahren in Sozialrechtssachen ist die sukzessive Kompetenz der Gerichte. Sozialrechtssachen iSd § 65 ASGG sind daher ua nicht solche Angelegenheiten, in welchen ausschließlich (also unter Ausschluss der sukzessiven Kompetenz der Gerichte) Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben. Liegt aber keine Sozialrechtssache vor, ist für die Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs vor den Arbeits- und Sozialgerichten der Rechtsweg unzulässig.

Die Klägerin steht als Fachoberlehrerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund (Bundeslehrerin). Auf dieses Dienstverhältnis ist das BDG anzuwenden (§ 1 Abs 1 BDG). Sie begehrt als Bundeslehrerin gegenüber ihrem Dienstgeber die Feststellung, dass sie nicht dauernd dienstunfähig iSd § 14 Abs 1 BDG ist. Auf diese Angelegenheit des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses zum Bund ist gem § 1 Abs 1 DVG das AVG mit den im DVG geregelten Abänderungen anzuwenden. Über die vorliegende Dienstrechtsangelegenheit haben daher die gem § 2 DVG zuständigen Dienstbehörden im Verwaltungsweg mittels Bescheids zu entscheiden. Der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten (§ 1 JN) ist für diese Streitigkeit verschlossen:

Da Streitigkeiten über die dauernde Dienstunfähigkeit iSd § 14 Abs 1 BDG in der Zuständigkeitsregelung des § 65 ASGG nicht angeführt sind und eine Verweisung auf die seinerzeitigen Schiedsgerichte der Sozialversicherung bzw auf die das Leistungsstreitverfahren erster und zweiter Instanz betreffenden Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze fehlt, handelt es sich bei dieser Streitigkeit um keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG. Es liegt auch keine Arbeitsrechtssache iSd § 50 Abs 1 ASGG vor.

Die Ansicht der Klägerin, dass ihr in analoger Anwendung des § 65 ASGG eine Klagemöglichkeit vor dem Arbeits- und Sozialgericht offen stehen müsse, weil es sich nach der aktuellen Rsp des EGMR um eine Streitigkeit über einen privatrechtlichen Anspruch iSd Art 6 EMRK handle, worüber ein Gericht ("Tribunal") zu entscheiden habe, ist unzutreffend.

Ob eine Sache in den Kompetenzbereich der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden fällt, richtet sich in erster Linie nach der positiv-rechtlichen Zuweisung durch den Gesetzgeber. Ihm sind jedoch gem Art 6 Abs 1 EMRK insofern verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, als über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights") ein unabhängiges und unparteiisches Gericht ("Tribunal") zu entscheiden hat. Nach Lehre und neuerer österreichischer Rsp muss jedenfalls im Kernbereich der "civil rights" ein Gericht (Behörde mit Tribunal-Qualität) entscheiden; die bloß nachprüfende Kontrolle durch den VwGH und dem VfGH reicht hier nicht aus. Eine gesetzliche Verweisung solcher Ansprüche durch einfaches Gesetz vor Behörden, denen keine Tribunal-Qualität iSd Art 6 Abs 1 EMRK zukommt, ist aber dennoch wirksam, solange diese Kompetenzvorschrift nicht durch den VfGH aufgehoben worden ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung, dann stellt sich Art 6 EMRK als Generalklausel dar, die zivilrechtliche Ansprüche dem Gericht zuweist. Über Streitigkeiten der vorliegenden Art ist - wie bereits dargelegt wurde - nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung im Verwaltungsweg zu entscheiden. Eine sukzessive Kompetenz der Arbeits- und Sozialgerichte wurde vom Gesetzgeber nicht begründet. Auch für eine analoge Anwendung des § 65 ASGG ist kein Raum, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Diese positiv-rechtliche Zuweisung durch den Gesetzgeber an die Verwaltungsbehörden ist wirksam, solange die entsprechende Kompetenzvorschrift nicht durch den VfGH aufgehoben worden ist. Die Arbeits- und Sozialgerichte sind hingegen nicht berechtigt, Bescheide von Verwaltungsbehörden dahingehend zu überprüfen, ob die für das Verwaltungsverfahren vorgesehene Verfahrensordnung EMRK-konform ausgestaltet ist.