25.11.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Betriebsübergang gem § 3 Abs 1 AVRAG und Konkursprivileg nach Abs 2 (iZm Konzern)

Durch § 3 Abs 1 AVRAG soll sichergestellt werden, dass den durch den Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erhalten bleiben; dieser Zweck darf weder durch zwei Unternehmen, die einen einheitlichen Betrieb führen, noch durch das Zusammenwirken mehrerer Unternehmen im Rahmen eines Konzerns umgangen werden; die vorübergehende "Personalmiete" schließt zwar einen allfälligen Betriebsübergang nicht aus, weil dieser - wenn die Voraussetzungen vorliegen - unabhängig vom Wollen der Beteiligten eintritt; die "Personalmiete" ist aber kein Indiz, das für einen Betriebsübergang spricht


Schlagworte: Betriebsübergang, Konkursprivileg, Konzern, Personalmiete
Gesetze:

§ 3 AVRAG

GZ 9 ObA 121/09y, 22.10.2010

OGH: Ein Betriebsübergang iSd § 3 Abs 1 AVRAG setzt voraus, dass ein Unternehmen, Betrieb oder zumindest Betriebsteil auf einen anderen Inhaber übergeht. Die Rechtsgrundlage des Betriebsübergangs spielt dabei keine Rolle; es genügt der faktische Vorgang. Entscheidend ist der Inhaberwechsel. Der Begriff des "Veräußerers" und des "Erwerbers" ist in diesem Zusammenhang weit zu ziehen. Für die Erfüllung der geforderten Merkmale sind keine Veräußerung und kein Eigentumswechsel erforderlich. Es wird schlicht an den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit angeknüpft. Der Zweck des § 3 AVRAG, der in Umsetzung der BetriebsübergangsRL 77/187/EWG erlassen wurde, besteht darin, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers so weit wie möglich zu gewährleisten, indem den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren. Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen. Dabei ist iSe beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist. Derartige Umstände sind beispielsweise die Übernahme der materiellen und immateriellen Betriebsmittel und des Großteils der Belegschaft, die allfällige Ähnlichkeit der vor und nach der Übernahme verrichteten Tätigkeit, der Übergang der Kundschaft und die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit.

Die vorübergehende "Personalmiete" durch die D***** F***** GmbH schließt zwar einen allfälligen Betriebsübergang nicht aus, weil dieser - wenn die Voraussetzungen vorliegen - unabhängig vom Wollen der Beteiligten eintritt. Die "Personalmiete" ist aber kein Indiz, das für einen Betriebsübergang spricht. Wäre ein Betriebsübergang auf die D***** F***** GmbH erfolgt, dann hätte es nicht der "Personalmiete" bedurft; die Arbeitnehmer wären diesfalls auf die D***** F***** GmbH übergegangen und hätten nicht erst "gemietet" werden müssen.

Im vorliegenden Fall sind zwar alle Gesellschaften rechtlich selbständige Unternehmen, jedoch zu wirtschaftlichen Zwecken unter der einheitlichen Leitung des Dkfm W***** als "F*****-Gruppe" zusammengefasst. Man kann insoweit von einem Konzern und der Existenz mehrerer Konzernunternehmen ausgehen (vgl § 115 Abs 1 GmbHG, § 15 Abs 1 AktG). Diese Situation muss bei Prüfung des Vorliegens eines Betriebsübergangs berücksichtigt werden, soll nicht der Zweck des § 3 Abs 1 AVRAG auf der Strecke bleiben. Dieser besteht, wie schon ausgeführt, darin, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers so weit wie möglich zu gewährleisten, indem den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren.

Wie der OGH bereits betont hat, ist § 3 Abs 2 AVRAG in einem insbesondere Umgehungen von BetriebsübergangsRL und Gesetz weitgehend ausschließenden Sinn zu verstehen und anzuwenden. Der OGH erkannte, dass es nicht zur Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 3 Abs 2 AVRAG komme, wenn von zwei Unternehmen ein einheitlicher Betrieb geführt werde, von denen nur eines in Konkurs falle, weil dann beide Unternehmen als Veräußerer iSd § 3 Abs 2 AVRAG anzusehen seien.

Der Zweck des § 3 Abs 2 AVRAG liegt va darin, den Erwerber der wirtschaftlichen Einheit eines Gemeinschuldners nach Konkurseröffnung nicht durch den ex-lege-Übergang aller Beschäftigten von der Weiterführung des Geschäfts abzuhalten. Damit würde nämlich der Schutzzweck des § 3 AVRAG, wenigstens einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten, konterkariert werden. Natürlich wäre auch im Konzern die Nichtübernahme der Altlasten aus den früheren Arbeitsverhältnissen ein willkommener Nebeneffekt gewesen; dieser Motivation bedurfte es hier aber nicht. Die Beklagte musste nicht erst überredet werden, das Unternehmen der Gemeinschuldnerin fortzuführen. Sie stieß nicht bloß (mehr oder weniger zufällig) auf eine von der Gemeinschuldnerin hinterlassene "Marktlücke", wie in der Revisionsbeantwortung behauptet. Es war vielmehr nach Lage des Falls ihre Aufgabe und Bestimmung im Konzern der F*****-Gruppe - nach dem wirtschaftlichen Scheitern der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH - die Fliesenverlegung unter dem Namen "F*****" weiterzuführen. In einem derartigen Fall würde die Anwendung des Konkursprivilegs ihren Zweck verfehlen. Bei der hier gegebenen Herausnahme der wirtschaftlichen Substanz vor Konkurseröffnung und Einfügung in die zum Zweck der Nachfolge gegründete Beklagte liefe die Anwendung des § 3 Abs 2 AVRAG auf eine Gesetzesumgehung hinaus. Die Ausnahme nach § 3 Abs 2 AVRAG kann daher nicht zum Tragen kommen.

Zutreffend ging somit das Erstgericht nicht nur von einem Betriebsübergang gem § 3 Abs 1 AVRAG auf die Beklagte, sondern auch davon aus, dass die Beklagte für die Verpflichtungen der Gemeinschuldnerin aus den Arbeitsverhältnissen der Kläger mit der Gemeinschuldnerin haftet. Hinsichtlich des Erstklägers und der Zweitklägerin folgt dies aus dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte. Die vorzeitigen Austritte des Erstklägers und der Zweitklägerin bei der Gemeinschuldnerin im zeitlichen Naheverhältnis zum Betriebsübergang dienten im Hinblick auf die praktisch nahtlose "Neueinstellung" bei der Beklagten nur der Überwälzung der Verpflichtungen auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds. Die Austritte waren daher rechtsunwirksam.