02.12.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Auskunftspflicht des Betriebsinhabers nach § 91 Abs 1 ArbVG

Besteht für den Betriebsrat ausreichend konkreter Grund zur Annahme, dass der Betriebsinhaber aktuell im Begriff ist, Maßnahmen zu setzen, die die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berühren können und gibt dieser trotz konkreter Nachfrage hiezu keine befriedigende Antwort, muss dem Betriebsrat die Möglichkeit der Durchsetzung des Auskunftsrechts zugestanden werden


Schlagworte: Arbeitsverfassungsrecht, Befugnisse der Arbeitnehmerschaft, Betriebsrat, Auskunftspflicht des Betriebsinhabers
Gesetze:

§ 91 ArbVG, § 50 Abs 2 ASGG

GZ 9 ObA 135/09g, 22.10.2010

OGH: Es ist davon auszugehen, dass der Betriebsrat gem § 50 Abs 2 ASGG auch in Angelegenheiten seiner Auskunfts- und Informationsrechte die Möglichkeit hat, eine Klage beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht einzubringen und auf diese Weise sein Recht auf Information durchzusetzen.

Gem § 91 Abs 1 ArbVG ist der Betriebsinhaber verpflichtet, dem Betriebsrat über alle Angelegenheiten, welche die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berühren, Auskunft zu erteilen. Entgegen den speziellen Informationsrechten, bei denen der Betriebsinhaber von sich aus tätig werden muss, entsteht die Auskunftspflicht nach § 91 Abs 1 ArbVG erst über entsprechend konkretes Verlangen des Betriebsrats. Reichen die speziellen Informationsrechte nicht aus, um dem Betriebsrat seine Interessenvertretungsaufgabe zu ermöglichen, kann dieser auf die allgemeine Rechtsgrundlage des § 91 Abs 1 ArbVG (unter den dort genannten Voraussetzungen) zurückgreifen. Zu beachten ist allerdings, dass dem ArbVG eine generelle Beteiligung der Arbeitnehmerschaft in jeder Frage, die Betrieb oder Unternehmen betrifft, fremd ist. Die österreichische Betriebsverfassung geht vielmehr vom grundsätzlichen Alleinbestimmungsrecht des Betriebsinhabers über Führung und Leitung des Betriebs aus und schränkt dieses Recht - in vielfach abgestufter Weise - zu Gunsten der Arbeitnehmerschaft ein. Die Belegschaft hat nur insofern einen Anspruch auf Teilhabe an der Führung und Leitung, als dies vom Gesetz vorgesehen ist. Auf darüber hinausgehende Informationen hat die Belegschaft keinen Anspruch, und zwar auch dann nicht, wenn diese vom Standpunkt der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen wichtig wären. Zweck der Informationsrechte ist es ganz allgemein, der Belegschaft zu ermöglichen, auf betriebliche Entwicklungen zu reagieren, diesbezügliche Auswirkungen abzuklären und Vorschläge zu erstatten. Insbesondere soll der Betriebsinhaber nicht aus Überraschungseffekten, Zeitnot, Desorientierung der Arbeitnehmer oder auch "vollendeten Tatsachen" Vorteile ziehen können. Die Inhalte der Information müssen vom Betriebsinhaber den Umständen nach angemessen gestaltet werden, dh die Thematik vollständig abhandeln und aufschlussreich sein. Die Information muss in einer Weise geboten werden, die dem Betriebsrat eine nachhaltige Kenntnis der dargelegten Inhalte eröffnet. Sie muss für den jeweiligen Zusammenhang rechtzeitig erfolgen. Die Auskunfts- und Informationsrechte stehen eigenständig neben den sonstigen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen, sie sind Grundlage für die Ausübung sämtlicher sonstiger betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse. Ohne entsprechende Information wäre eine auch nur einigermaßen effektive Durchführung der gesetzlichen Betriebsverfassung nicht denkbar.

Es ist offenkundig, dass der Gesetzgeber des § 91 ArbVG mit "Angelegenheit" den weitesten Begriff gewählt hat, den er in diesem Zusammenhang verwenden konnte. Daraus folgt, dass - mit entsprechenden Einschränkungen - Gegenstand des allgemeinen Informationsrechts jegliche den Betrieb betreffende Frage sein kann. Aus dem Begriff der "Angelegenheit" lässt sich somit keine nähere Bestimmung dessen ableiten, worüber der Betriebsinhaber gem § 91 ArbVG Auskunft zu erteilen hat. Eine solche Einschränkung ergibt sich vielmehr erst aus dem Erfordernis, dass die Angelegenheit die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Interessen der Arbeitnehmer berühren muss. "Berühren" bedeutet dabei, dass die Angelegenheit geeignet sein muss, Auswirkungen auf die genannten Interessen der Arbeitnehmer zu haben. Da das Gesetz nicht differenziert, werden sowohl positive wie auch negative Auswirkungen die Interessen berühren können. In einem weiten Verständnis ist zwar jede betriebliche Angelegenheit geeignet, auf die Arbeitnehmerinteressen Auswirkung zu haben, und sei diese auch noch so gering, jedoch würde ein solches Verständnis des Erfordernisses der Berührung von Arbeitnehmerinteressen dessen offenkundig einschränkende Funktion außer Acht lassen. Damit eine betriebliche Angelegenheit Gegenstand des allgemeinen Informationsrechts sein kann, muss daher eine zureichende und auch aktuelle Beziehung zu den Arbeitnehmerinteressen gegeben sein. Wie bei jedem Auskunftsrecht stellt sich auch bei § 91 ArbVG die Frage, wie konkret die Anfrage des Belegschaftsorgans sein muss, um die Informationspflicht des Betriebsinhabers auszulösen. Aus der Normierung des Informationsrechts für Angelegenheiten, die die Interessen der Arbeitnehmer im genannten Sinne berühren, wird man ableiten müssen, dass die Anfrage hinsichtlich des Gegenstands zumindest der Art nach konkretisiert sein und erkennen lassen muss, dass Arbeitnehmerinteressen betroffen sind. Im Übrigen beeinflusst die Konkretheit der Anfrage die Informationspflicht des Betriebsinhabers: Je mehr die Anfrage spezifiziert ist, desto genauer muss die Information sein.

Auch von einem externen Unternehmen erstellte Qualitätsberichte über erbrachte Dienstleistungen können die wirtschaftlichen, aber auch sozialen Interessen der betroffenen Arbeitnehmer berühren.