02.12.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Bemessung des Wochengeldes bei Eintritt des Versicherungsfalls während einer neben dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld angetretenen Bildungskarenz

Fehlt in den Fällen, in denen die Bildungskarenz ausnahmsweise zu einem Zeitpunkt angetreten wird, in dem die Versicherte über keinen aktuellen Arbeitsverdienst verfügt, die gerade für Wochengeldansprüche von Weiterbildungsgeldbezieherinnen normierte besondere Bemessungsgrundlage, entspricht es nach Ansicht des erkennenden Senats den Intentionen des Gesetzgebers, auf die allgemeine Bemessungsregelung für Wochengeldansprüche im Anwendungsbereich des AlVG zurückzugreifen und auch in diesem Fall den um 80 vH erhöhten Leistungsbezug (Weiterbildungsgeldbezug) zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls heranzuziehen, um der Versicherten einen adäquaten Ersatz ihres aktuellen Einkommensentfalls zu sichern


Schlagworte: Krankenversicherung, Mutterschaft, Wochengeld, Bemessung, Kinderbetreuungsgeld, Weiterbildungsgeld
Gesetze:

§ 162 ASVG, § 41 Abs 1 AlVG, § 3 Abs 1 KBGG, § 26 AlVG, § 40 AlVG, § 6 Abs 1 Z 4 AlVG

GZ 10 ObS 29/10b, 19.10.2010

OGH: Im vorliegenden Fall trat der neuerliche Versicherungsfall der Mutterschaft bei der Klägerin am 24. 10. 2008 ein. Zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls war die Klägerin sowohl gem § 40 Abs 1 iVm § 6 Abs 1 Z 4 AlVG aufgrund des Bezugs von Weiterbildungsgeld als auch nach § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG als Bezieherin von Kinderbetreuungsgeld in der Krankenversicherung pflichtversichert. Dies bedeutet, dass nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts bei der Klägerin ein Schutzfristfall iSd § 122 Abs 3 ASVG nicht vorliegt.

Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Klägerin nicht unter die Ausschlussbestimmung des § 162 Abs 5 Z 3 ASVG fällt und sie daher grundsätzlich Anspruch auf Wochengeld hat. Strittig ist allein die Frage der Höhe des der Klägerin gebührenden Wochengeldes.

Nach § 162 Abs 3a Z 2 ASVG gebührt den Beziehern von Kinderbetreuungsgeld das Wochengeld - abweichend vom Abs 3 - in der Höhe des um 80 vH erhöhten Kinderbetreuungsgeldes. Berechnungsgrundlage ist der in § 3 Abs 1 KBGG genannte Betrag.

Nach der grundsätzlichen Systematik des ASVG ist das Wochengeld eine Einkommensersatzleistung, welche sich am Einkommen der letzten drei Kalendermonate vor dem Eintritt des Versicherungsfalls orientiert. Der Gesetzgeber entschied sich dabei für das Durchschnittsprinzip, das vergangene Werte berücksichtigt, und nicht für das Ausfallsprinzip, das die in Zukunft voraussichtlich zu erwartende Entwicklung in Rechnung stellt. Er nimmt dabei in Kauf, dass die Versicherte trotz des Wochengeldes einen Verdienstausfall erleiden kann.

Es ist im vorliegenden Fall nicht strittig, dass die Klägerin (auch) als Bezieherin von Weiterbildungsgeld Anspruch auf Wochengeld hat. Die Höhe des Wochengeldes für Arbeitslose sowie für Bezieher von Weiterbildungsgeld und Notstandshilfe ist in § 41 Abs 1 Satz 2 AlVG geregelt. Danach ist das Wochengeld für Bezieherinnen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe abweichend vom ASVG immer mit 180 % des Bezugs zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zu bemessen. Es entspricht damit annähernd dem aus der Beitragsgrundlage zu diesem Leistungsbezug resultierenden Nettoverdienst. Eine Sonderregelung besteht bei Bezug von Weiterbildungsgeld. In diesem Fall orientiert sich die Höhe des Wochengeldes an dem dem Leistungsbezug vorangegangenen "Arbeitsverdienst", wobei die Berechnungsmethode des § 162 Abs 3 und 4 ASVG heranzuziehen ist.

Soweit die Klägerin in ihrer Revision geltend macht, bei ihr liege ein Schutzfristfall iSd § 122 Abs 3 Satz 1 ASVG vor, weshalb für die Bemessung der Höhe ihres Wochengeldanspruchs die besondere Regelung des § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG zur Anwendung gelange, ist ihr entgegenzuhalten, dass, wie bereits dargelegt, bei ihr im Hinblick auf den aufrechten Bestand der Krankenversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft am 24. 10. 2008 kein Schutzfristfall des § 122 Abs 3 erster Satz ASVG vorliegt und daher auch die nur für einen Schutzfristfall vorgesehene besondere Bemessungsvorschrift des § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG nicht zur Anwendung kommt.

Die Höhe des Wochengeldanspruchs der Klägerin aufgrund des Bezugs von Weiterbildungsgeld bestimmt sich vielmehr nach § 41 Abs 1 Satz 2 AlVG. Danach orientiert sich die Höhe des Wochengeldes an dem dem Leistungsbezug vorangegangenen "Arbeitsverdienst", wobei die Berechnungsmethode des § 162 Abs 3 und 4 ASVG heranzuziehen ist. Die Regelung des § 41 Abs 1 Satz 2 AlVG hat somit nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts ganz offenkundig nur den Regelfall vor Augen, dass die Bildungskarenz aus einem aufrechten Arbeitsverhältnis heraus angetreten wird, nicht aber den hier zu beurteilenden Ausnahmefall, dass eine Kinderbetreuungsgeldbezieherin, die über keinen aktuellen "Arbeitsverdienst" verfügt, in Bildungskarenz geht. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass diese Bestimmung auf einen solchen besonderen Fall überhaupt nicht (auch nicht dem Grunde nach) anzuwenden oder das Wochengeld mangels vorangehenden "Arbeitsverdienstes" mit Null zu bestimmen wäre. Insoweit liegt daher bezüglich der Höhe des Wochengeldes, weil die für den Regelfall vorgesehene Bemessungsgrundlage hier fehlt, nach ebenfalls zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die im Wege der Analogie zu schließen ist.

Bereits das Berufungsgericht hat richtig darauf hingewiesen, dass im Anwendungsbereich des AlVG das Wochengeld den Beziehern von Leistungen - der Gesamtkonzeption aller Sozialversicherungsgesetze folgend - nach der allgemeinen Regel in Höhe des um 80 vH erhöhten Leistungsbezugs am Stichtag (Eintritt des Versicherungsfalls) gebührt. Nur für das Weiterbildungsgeld stellt das Gesetz - für den Regelfall des Antritts der Bildungskarenz bei aufrechtem Arbeitsverhältnis - nicht auf den Leistungsbezug, sondern auf das dem Leistungsbezug unmittelbar vorangehende letzte Arbeitseinkommen als Bemessungsgrundlage ab. Auf diese Weise soll für das Wochengeld ein wesentlich aktuellerer Bezug zum Arbeitseinkommen des Versicherten hergestellt werden, als dies im Wege der viel weiter zurückliegenden Jahresbeitragsgrundlagen gewährleistet wäre, die gem § 21 Abs 1 AlVG den Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung regelmäßig zu Grunde liegen. Das ändert aber nichts daran, dass im Endeffekt immer der durchschnittliche Arbeitsverdienst der Versicherten in das Wochengeld einfließt, und zwar nach dem Bezug von Weiterbildungsgeld, indem direkt auf das (aktuelle) Arbeitseinkommen abgestellt wird, und in den anderen Fällen eines Leistungsbezugs nach dem AlVG, indem die Leistung, die 55 % des (nach § 21 Abs 1 AlVG ermittelten) Nettoeinkommens beträgt, für die Bemessung des Wochengeldes um 80 vH erhöht wird.

Fehlt nun in den Fällen, in denen die Bildungskarenz ausnahmsweise zu einem Zeitpunkt angetreten wird, in dem die Versicherte über keinen aktuellen Arbeitsverdienst verfügt, die gerade für Wochengeldansprüche von Weiterbildungsgeldbezieherinnen normierte besondere Bemessungsgrundlage, entspricht es auch nach Ansicht des erkennenden Senats den Intentionen des Gesetzgebers, auf die allgemeine Bemessungsregelung für Wochengeldansprüche im Anwendungsbereich des AlVG zurückzugreifen und auch in diesem Fall den um 80 vH erhöhten Leistungsbezug (Weiterbildungsgeldbezug) zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls heranzuziehen, um der Versicherten einen adäquaten Ersatz ihres aktuellen Einkommensentfalls zu sichern. Kann daher die besondere Bemessungsregelung für den Wochengeldanspruch der Bezieherinnen von Weiterbildungsgeld mangels Vorliegens eines konkreten Arbeitsverdienstes, welcher dem Bezug von Weiterbildungsgeld unmittelbar vorangeht, nicht zur Anwendung gelangen, ist es auch nach Ansicht des erkennenden Senats sachgerecht, bei der Bemessung des Wochengeldanspruchs auf die allgemeine Bemessungsregelung für Wochengeldansprüche im Anwendungsbereich des AlVG zurückzugreifen, zumal gem § 26 AlVG auch das Weiterbildungsgeld seit 1. 1. 2008 in der Höhe des (fiktiven) Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch in der Höhe des Kinderbetreuungsgeldes gem § 3 Abs 1 KBGG gebührt. Diese Vorgangsweise trägt auch der allgemeinen Zweckbestimmung des Wochengeldes als Einkommensersatzleistung, welche sich grundsätzlich am Einkommen der letzten dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonate vor dem Eintritt des Versicherungsfalls orientiert, Rechnung. Diesem Aktualisierungsgrundsatz würde es hingegen widersprechen, sollte man bei der Bemessung des Wochengeldes entsprechend den Ausführungen der Klägerin auf ihren bereits zwei Jahre zurückliegenden letzten Arbeitsverdienst abstellen. Der von der beklagten Partei vertretenen Rechtsansicht, es sei als Bemessungsgröße für das Wochengeld das von der Klägerin unmittelbar vor Beginn des Weiterbildungsgeldes bezogene Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR täglich heranzuziehen, kann ebenfalls nicht gefolgt werden, da das Kinderbetreuungsgeld nicht als "Arbeitsverdienst" iSd § 41 Abs 1 AlVG iVm § 162 Abs 3 ASVG qualifiziert werden kann.

Der Bemessung des Wochengeldanspruchs der Klägerin ist daher nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts das Kinderbetreuungsgeld der Klägerin iHv 14,53 EUR täglich sowie das Weiterbildungsgeld iHv 41,11 EUR täglich - jeweils erhöht um 80 vH (vgl § 162 Abs 3a Z 2 ASVG bzw § 41 Abs 1 AlVG) - zu Grunde zu legen.