16.12.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Sexuelle Belästigung im Betrieb durch Kollegen

Das Auftreten einer sexuellen Belästigung im Betrieb erfordert eine angemessene Reaktion des Arbeitgebers; welche Maßnahme angemessen ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab; das Spektrum sexueller Belästigungen ist breit; dementsprechend breit ist auch das Spektrum möglicher Reaktionen (zB Ermahnung, Verwarnung, Kündigung, Entlassung); es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit


Schlagworte: Gleichbehandlung, sexuelle Belästigung, Entlassung
Gesetze:

§ 6 GlBG

GZ 9 ObA 13/10t, 29.09.2010

OGH: Das Auftreten einer sexuellen Belästigung im Betrieb erfordert eine angemessene Reaktion des Arbeitgebers (§ 6 Abs 1 Z 2 GlBG). Welche Maßnahme angemessen ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Das Spektrum sexueller Belästigungen ist breit; dementsprechend breit ist auch das Spektrum möglicher Reaktionen (zB Ermahnung, Verwarnung, Kündigung, Entlassung). Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sexuelle Belästigung ist ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber im Einzelfall zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen kann. Als ultima ratio kann auch eine sofortige Entlassung des Belästigers gerechtfertigt sein, zum einen, um die sexuell belästigte Person nicht der Gefahr weiterer Übergriffe auszusetzen, zum anderen aber auch, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, nicht für geeignete Abhilfe gesorgt zu haben (§ 6 Abs 1 Z 2 GlBG). Greift der Arbeitgeber zur Entlassung des Belästigers, dann kommt es darauf an, dass die Weiterbeschäftigung unzumutbar ist. Ob eine sexuelle Belästigung bereits als entlassungswürdig zu qualifizieren ist, hängt - wie bei jeder Entlassung - von den Umständen des Einzelfalls ab.

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass dies bei der vorliegenden einmaligen verbalen Entgleisung des Klägers gegenüber einem 19-jährigen weiblichen Lehrling ("Du schaust aus, wie waunst 14 Tog durchgschnackselst hättst."), womit dieser "scherzhaft" deren zerzaustes Aussehen der Haare kommentieren wollte, noch nicht der Fall sei, ist unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts nicht unvertretbar. Es wirkt zwar nicht zugunsten des Klägers, dass es im vorliegenden Fall nicht um seine sexuelle Befriedigung ging. Typischerweise geht es nämlich bei sexueller Belästigung nicht um Befriedigung, sondern um Machtausübung (hier: in Gestalt einer Maßregelung des Aussehens einer jungen Kollegin durch den um beinahe 40 Jahre älteren Kläger). Es vermittelt offenbar manchen Männern das Gefühl von Dominanz, wenn sie verbale Urteile über körperliche Merkmale von Frauen abgeben. Auch die vom Erstgericht festgestellte "Scherzhaftigkeit" des Kommentars dürfte sich nach der festgestellten Reaktion der Betroffenen mehr dem Erklärenden als der Erklärungsempfängerin erschlossen haben. Im Einzelfall kann auch ein bloß einmaliger Vorfall so gravierend sein, dass er die weitere Beschäftigung des Belästigers unzumutbar macht. Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich aber doch deutlich von etwa jenen wiederholten verbalen Angriffen, die beispielsweise vom Senat zu 9 ObA 319/00b zu beurteilen waren und für die dort belästigte Frau eine nachhaltige Beeinträchtigung der Arbeitsumwelt schufen. Der Vorwurf der Revisionswerberin, das Berufungsgericht "ignoriere völlig" die Rsp des OGH, ist unberechtigt.

Zutreffend verwies das Berufungsgericht darauf, dass es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht auf die Dauer der Kündigungsfrist ankommt. Entscheidend ist ausschließlich, ob das zur Entlassung Anlass gebende Verhalten an sich geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Einzelfall zu begründen. Einen überzeugenden Grund, von dieser Rsp abzugehen, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Dass der Kläger begünstigter Behinderter iSd BEinstG ist, wurde von den Vorinstanzen keineswegs übersehen, sondern ausdrücklich hervorgehoben. Der Ansatz der Revisionswerberin, begünstigte Behinderte sollten aufgrund ihres besonderen Kündigungsschutzes leichter als andere Arbeitnehmer entlassen werden können, entbehrt einer rechtlichen Grundlage. Die Berechtigung der Entlassung eines begünstigten Behinderten ist nach den allgemeinen Bestimmungen des Entlassungsrechts zu beurteilen. Für die allfällige Kündigung eines begünstigten Behinderten ist va § 8 BEinstG zu beachten. Worauf sich die gegen die vorstehende Rsp geltend gemachte Mutmaßung der Revisionswerberin gründet, dass der Kläger als begünstigter Behinderter - abgesehen davon, dass er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses akzeptierte und sich auf die Geltendmachung von Geldansprüchen beschränkte - "in den nächsten zehn Jahren nicht gekündigt werden könne", ist nicht nachvollziehbar.

Das Verhalten, das erfolglos zur Begründung der Entlassung des Klägers herangezogen wurde, kann nicht zur Begründung eines allfälligen Mitverschuldens an der Entlassung nach § 32 AngG herangezogen werden. Ob die Verzögerung der Zahlung auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht und deshalb Zinsen nach § 49a ASGG zuzusprechen sind, hängt von Umständen des Einzelfalls ab.