13.01.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Mindestlohntarif und Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG

Liegt ein Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG vor, verdrängt ein für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender Mindestlohntarif in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden Kollektivvertrag


Schlagworte: Mindestlohntarif, Kollektivvertrag, fachlicher Geltungsbereich, Mischbetrieb
Gesetze:

§ 9 Abs 3 ArbVG, § 22 ArbVG, § 24 ArbVG

GZ 9 ObA 11/10y, 24.11.2010

OGH: Gem § 22 Abs 3 ArbVG darf ein Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, 1. weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen und 2. sofern eine Regelung von Mindestentgelten und Mindestbeträgen für den Ersatz von Auslagen durch die Erklärung eines Kollektivvertrags zur Satzung nicht erfolgt ist. Schon der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber ist (bei Mangel einer Satzung) ausschlaggebend dafür, dass eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob tatsächlich ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde oder nicht. Dabei ist allerdings die aktuelle Situation ausschlaggebend.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen verdrängt nicht bereits das Vorhandensein irgendeines Kollektivvertrags im Unternehmen die Anwendbarkeit eines Mindestlohntarifs. Vielmehr normiert § 24 Abs 3 ArbVG klar, dass Kollektivverträge und Satzungen einen bestehenden Mindestlohntarif nur für ihren Geltungsbereich außer Kraft setzen. In diesem Sinn hat der erkennende Senat bereits in 9 ObA 83/89 ausgesprochen, dass ein durch Mindestlohntarif erfasster Bereich kein "vertragsfreier Raum" sei, der durch eine lediglich an eine Teiltätigkeit anknüpfende Kollektivvertragsangehörigkeit aufgefüllt werde. Die zitierte Entscheidung unterscheidet sich damit ebenso wie der hier zu beurteilende Fall grundlegend von dem dem Erkenntnis 9 ObA 139/05i zu Grunde liegenden Sachverhalt, wo für den überwiegenden Teil des Unternehmens, eines Studentenheims, keine kollektive Regelung bestand, jedoch der organisatorisch nicht getrennt geführte Hotelbetrieb, dem untergeordnete wirtschaftliche Bedeutung zukam, dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe unterlag. Nur in diesem besonderen Fall konnte die Geltung des Kollektivvertrags ausgehend vom sozialen Schutzprinzip auch auf den "vertragsfreien Raum" ausgedehnt werden.

Liegt nach § 9 Abs 3 ArbVG eine organisatorische Trennung in Haupt- und Nebenbetriebe oder eine organisatorische Abgrenzung in Betriebsabteilungen nicht vor, so findet jener Kollektivvertrag Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. In diesem Fall gilt also anders als nach § 9 Abs 1 und 2 ArbVG das Prinzip der Tarifeinheit.

Liegt ein Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG vor, verdrängt ein für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender Mindestlohntarif in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden Kollektivvertrag.

Wenngleich die Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG wohl auch auf die Substitutionsform der Satzung auszudehnen ist, bedarf diese Frage hier keiner weiteren Erörterung.