10.02.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Schadenersatzanspruch nach § 17 Abs 1 B-GlBG bei Verletzung des Frauenförderungsgebots nach § 11b leg cit?

Eine Verletzung des Frauenförderungsgebots nach § 11b B-GlBG begründet nur dann einen Schadenersatzanspruch nach § 17 Abs 1 B-GlBG, wenn die gebotene bevorzugte Aufnahme einer Bewerberin aus Gründen versagt wurde, die iSd § 4a iVm § 11b Abs 2 B-GlBG diskriminierend wirken


Schlagworte: Gleichbehandlungsrecht, Verletzung des Frauenförderungsgebots, Diskriminierungsverbot, Schadenersatz
Gesetze:

§ 11b G-GlBG, § 17 GlBG

GZ 8 ObA 35/10w, 23.11.2010

OGH: Das in § 11b B-GlBG normierte Gebot an den Dienstgeber, Frauen unter bestimmten Voraussetzungen vorrangig aufzunehmen, ist als rechtspolitische Frauenförderungsmaßnahme vom Diskriminierungsverbot nach § 4 B-GlBG zu unterscheiden. Positive Förderungsbestimmungen ("affirmative actions", gelegentlich als "umgekehrte Diskriminierung" bezeichnet) haben zum Ziel, in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten zu beseitigen oder zu verringern, im konkreten Fall die Beseitigung einer realen Unterrepräsentation von Frauen im Berufsleben. Bis zur Erreichung einer adäquaten Teilnahme wird durch die Förderungsbestimmung im Einzelfall und unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen die Benachteiligung männlicher Bewerber aufgrund eines ansonsten verpönten Entscheidungskriteriums in Kauf genommen. Während das Diskriminierungsverbot das Individuum gegen Benachteiligung in Schutz nimmt, verfolgen die Förderungsbestimmungen ein kollektives Ziel, für dessen Erreichen in begrenztem Ausmaß auch individuelle Opfer in Kauf zu nehmen sind.

Die Nichtgewährung einer gesetzlich angeordneten einseitigen Förderungsmaßnahme ist, wenn sie ohne wichtigen Grund erfolgt, rechtswidrig. Die nicht bevorzugte Frau erfährt aber allein dadurch aufgrund ihres Geschlechts keine "weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde" iSd § 4a B-GlBG, weil ein Mann ebenfalls nicht bevorzugt behandelt würde.

Eine Verletzung des Frauenförderungsgebots nach § 11b B-GlBG ist vielmehr nur dann (auch) eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iSd § 4a B-GlBG, wenn die Entscheidung für einen männlichen Kandidaten aus solchen Gründen erfolgt, die für die gleich qualifizierten Mitbewerber(-innen) diskriminierende Wirkung entfalten (§ 11b Abs 2 B-GlBG).

Die Beachtung der Öffnungsklausel des § 11b B-GlBG ist zwingender Bestandteil eines mangelfreien Besetzungsverfahrens. Sie muss in jedem Einzelfall garantieren, dass die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person der Bewerber betreffenden Kriterien berücksichtigt werden.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann sich die Prüfung der wichtigen Gründe, die für die Anstellung des männlichen Bewerbers ausschlaggebend sein können, nicht auf die ausdrücklich in der Ausschreibung genannten Kriterien beschränken. Die Situation der Auswahl bei gleicher Eignung könnte sich gar nicht erst stellen, wenn ohnedies eine Person die Ausschreibungskriterien in höherem Maß erfüllt als die anderen Kandidaten.

Eine unauffällige soziale Integrationsfähigkeit eines Kandidaten, der auf Seiten der Konkurrentin festgestellte schlechte Erfahrungen und mangelnde Akzeptanz durch die Institutsmitglieder gegenüberstehen, ist jedenfalls ein Grund, der für die vorgesehene Zusammenarbeit im Institut und damit die Erfüllung der ausgeschriebenen Aufgaben von Bedeutung ist; gleichzeitig ist er geschlechtsneutral und daher weder unmittelbar noch mittelbar diskriminierend iSd § 4a B-GlBG.

Der Schadenersatzanspruch nach § 17 Abs 1 B-GlBG ist dem klaren Gesetzeswortlaut entsprechend auf Fälle einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung iSd §§ 4a, 13a B-GlBG aufgrund der dort genannten Merkmale beschränkt. Eine Verletzung des Frauenförderungsgebots nach § 11b B-GlBG begründet daher nur dann einen Schadenersatzanspruch nach § 17 Abs 1 B-GlBG, wenn die gebotene bevorzugte Aufnahme einer Bewerberin aus Gründen versagt wurde, die iSd § 4a iVm § 11b Abs 2 B-GlBG diskriminierend wirken.