24.02.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Kündigung nach § 8 BEinStG - zur Frage, wie sich die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den VwGH auf eine bereits ausgesprochene Kündigung auswirkt und wie das Verhältnis zwischen Kündigungsschutz nach dem BEinStG und anderen Bestandschutzvorschriften zu werten ist

Mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung iSd § 30 Abs 2 VwGG können bereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängig gemacht werden; zumindest dann, wenn sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines Kollektivvertrags gründet, hat das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zu prüfen, selbst wenn im Verfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde


Schlagworte: Behinderteneinstellungsrecht, Kündigung, Beschwerde, aufschiebende Wirkung, besonderer Kündigungsschutz
Gesetze:

§ 8 BEinStG, § 30 Abs 2 VwGG, Art 131 B-VG, Kollektivvertrag, § 32 Abs 2 VBG

GZ 9 ObA 42/10g, 22.12.2010

OGH: Mit der Zustimmung des Behindertenausschusses bzw (im vorliegenden Fall) der Berufungskommission wird das im § 8 Abs 2 BEinStG normierte Kündigungsverbot aufgehoben. Der Arbeitgeber erhält damit konstitutiv die nach den Bestimmungen des Privatrechts zustehende Befugnis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurück. Der Bescheid hat also keinen unmittelbaren Einfluss auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, er ist aber insoweit konstitutiver Natur, als dem Arbeitgeber die Erlaubnis zur Ausübung seines Kündigungsrechts gegeben und so eine neue Rechtslage begründet wird.

Zunächst ist der Ansicht des Erstgerichts entgegenzutreten, dass die Möglichkeit zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde an den VwGH den Eintritt der Rechtskraft verhindere. Die "formelle Rechtskraft", die regelmäßig mit der materiellen Rechtskraft des Bescheids (Unwiderrufbarkeit) zusammenfällt bedeutet, dass der Bescheid durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden kann. Die Möglichkeit, eine Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu erheben, hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft (= Unanfechtbarkeit) nicht. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Zustellung des Bescheids der Berufungskommission vor dem Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte erfolgt ist, sodass bei Ausspruch und Zugang der Kündigung ein rechtskräftiger Bescheid vorlag.

Zu der vom VwGH gem § 30 Abs 2 VwGG zuerkannten aufschiebenden Wirkung:

Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts kommt kraft Gesetzes eine aufschiebende Wirkung nicht zu. Im Rahmen einer Beschwerde an den VwGH kann daher die aufschiebende Wirkung nur dadurch erzielt werden, dass der VwGH einem darauf gerichteten Antrag gem § 30 Abs 2 VwGG stattgibt. Wird der Beschwerde eines Dritten die aufschiebende Wirkung gegen eine Berechtigung zuerkannt, so darf der Inhaber der Berechtigung davon keinen Gebrauch mehr machen. Eine bereits ausgeübte Berechtigung ist allerdings einem Aufschub nicht zugänglich. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedeutet nur die Pflicht, mit dem Vollzug oder der Berechtigungsausübung nicht zu beginnen bzw darin innezuhalten. Insofern ist der Aufschiebungsumfang durch den im Verwaltungsverfahren jeweils eingetretenen Stand der Umsetzung des Verwaltungsakts in die Wirklichkeit begrenzt. So hat der VfGH (B 952/04 ua) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rsp des VwGH zu § 30 Abs 2 VwGG ausgesprochen, dass mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung iS dieser Bestimmung bereits gesetzte Vollzugshandlungen nicht rückgängig gemacht werden können. So hat auch der VwGH (AW 2004/11/0023) einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine Absage erteilt, wenn der Dienstgeber von der ihm vom Behindertenausschuss eingeräumten Kündigungsmöglichkeit bereits Gebrauch gemacht hat; ein bereits gekündigtes Dienstverhältnis sei einer Gestaltung nicht mehr zugänglich.

Diese Erwägungen müssen auch im vorliegenden Fall gelten. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der aufschiebenden Wirkung durch den VwGH war die Kündigung bereits zugegangen und daher wirksam geworden. Darauf, dass die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war, kann es indes nicht ankommen, weil seitens der berechtigten Arbeitgeberin keine Schritte mehr für die Beendigung des Dienstverhältnisses zu setzen waren, sondern dieses von selbst mit dem Ende der Kündigungsfrist auslief. Sollte die Zustimmung nachträglich beseitigt werden, könnte dies nur einen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens geben.

Zu prüfen bleibt daher, ob die Zustimmung des Behindertenausschusses bzw der Berufungskommission zur Kündigung den ordentlichen Gerichten die materielle Prüfung dort verwehrt, wo schon unabhängig von der Behinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Einzelvertrag ein besonderer Bestandschutz gewährt wird.

Im vorliegenden Fall genießt der Kläger gem § 18 Abs 2 iVm § 19 Abs 4 PTSG 1996 den Kündigungsschutz des § 48 des Kollektivvertrags Post AG (Dienstordnung). Sinngleich mit § 32 Abs 2 Z 2 VBG bestimmt § 48 Abs 2 lit b der Dienstordnung, dass ein Grund, der den Dienstgeber zur Kündigung berechtigt, insbesondere vorliegt, wenn der Bedienstete sich für eine entsprechende Verwendung als geistig und körperlich ungeeignet erweist. Im vorliegenden Fall hat die Berufungskommission ihre Zustimmung zur Kündigung des Klägers auch auf dessen Unfähigkeit für die im Dienstvertrag vereinbarte Arbeit gegründet, sodass der Arbeitgeberin eine Weiterverwendung gem § 8 Abs 4 lit b BEinStG nicht zumutbar sei.

§ 8 Abs 5 BEinstG sieht vor, dass gesetzliche Bestimmungen, die die Beendigung des Dienstverhältnisses an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen, unberührt bleiben. Ob dies bedeutet, dass den Arbeits- und Sozialgerichten eine neuerliche materielle Prüfung schon vom Behindertenausschuss geprüfter Kündigungsgründe versagt ist und nur die Einhaltung zusätzlich erforderlicher Schritte des Kündigungsvorgangs, wie zB besondere Formerfordernisse, vom Gericht geprüft werden dürfen, bedarf aber hier keiner abschließenden Klärung. § 8 Abs 5 BEinstG bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf gesetzliche Bestimmungen. Vorliegend ergibt sich der besondere neben dem BEinstG bestehende Kündigungsschutz aus einem Kollektivvertrag. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, mit der vorerwähnten Regelung auch Bestandschutzregelungen in Kollektivverträgen erfassen zu wollen oder auf solche "vergessen" zu haben. Somit besteht auch keine Gesetzeslücke, die zu schließen wäre.

Daraus folgt, dass zumindest dann, wenn sich der Kündigungsschutz des Dienstnehmers auf die Bestimmung eines Kollektivvertrags gründet, das Gericht die Kündigungsgründe selbständig zu prüfen hat, selbst wenn im Verfahren nach § 8 BEinstG ein gleichartiger Kündigungsgrund bereits von der Verwaltungsbehörde bejaht und der Zustimmung zur Kündigung zu Grunde gelegt wurde.

Die Beklagte kann sich aber nicht auf eine allgemeine Bindung des Gerichts an die Entscheidung der Verwaltungsbehörde in dem Sinn berufen, dass die von dieser im Zustimmungsbescheid angenommenen Kündigungsgründe jedenfalls vorliegen:

Nach LuRsp ist für die Gerichte nur der Spruch über den Bescheidgegenstand bindend, nicht jedoch dessen Begründung bzw rechtliche Beurteilung. Der Spruch der Berufungskommission umfasst nur "die Zustimmung zur Kündigung des Antragsgegners", nicht aber etwa die Feststellung, dass bestimmte Kündigungsgründe vorliegen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind daher im vorliegenden Fall Feststellungen des Gerichts zum behaupteten Kündigungsgrund nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich.