24.02.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Invaliditätspension - (ausschließlicher) Erwerb von Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aufgrund einer Umschulung im Rahmen des AMFG und zur Frage, welcher Zeitpunkt für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit bzw den Eintritt in das Versicherungsverhältnis maßgeblich ist

Ein bloßer Erwerb von Beitragszeiten begründet (noch) keine Arbeitsfähigkeit; umso weniger ist eine Arbeitsfähigkeit anzunehmen, wenn Beitragsmonate nur deshalb erworben wurden, weil ein Versicherter eine Umschulung nach dem AMFG absolvierte


Schlagworte: Allgemeines Sozialversicherungsrecht, Invaliditätspension, Umschulung, Eintritt in das Erwerbsleben, Eintritt in das Versicherungsverhältnis
Gesetze:

§ 255 ASVG

GZ 10 ObS 144/10i, 21.12.2010

Die Revisionsausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass aus dem bloßen Umstand des Vorliegens eines Beitragsmonats der Pflichtversicherung nicht eo ipso zu folgern sei, dass bereits ein Eintritt in das Erwerbsleben vorliege und dadurch der Versicherungsschutz nach § 255 Abs 3 ASVG eröffnet werde. Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung stelle eindeutig auf die tatsächliche Ausübung eines Berufs ab, mit dem auch ein Einkommen ("Entgelt") erzielt werde. Der Kläger habe jedoch im Rahmen seiner Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen mangels Rechtsanspruchs auf eine finanzielle Gegenleistung kein Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 Z 1 ASVG erzielt. In der Gesamtschau ergebe sich, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Erwerbs von Beitragsmonaten nach dem AMFG zwar eine Erwerbstätigkeit ausüben hätte können, tatsächlich eine solche jedoch nicht ausgeübt habe, sodass im Ergebnis ein Eintritt ins Erwerbsleben noch nicht erfolgt sei.

OGH: Die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit haben zur Voraussetzung, dass eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt wurde. Zur Prüfung dieser Frage ist es erforderlich, den körperlichen und geistigen Zustand des Versicherten bei Aufnahme der Berufstätigkeit und Eintritt in das Versicherungsverhältnis jenem bei Antragstellung gegenüberzustellen. Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann daher bei Leistungen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls führen.

Auf die Frage, welcher Zeitpunkt für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit bzw den Eintritt in das Versicherungsverhältnis maßgeblich ist, ist der OGH in mehreren Entscheidungen eingegangen. Die Entscheidungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass der OGH für die Beurteilung des maßgeblichen Vergleichszeitpunkts am Beginn der Erwerbskarriere nicht allein auf die Begründung einer Pflichtversicherung (etwa auch im Rahmen von "Schulungsmaßnahmen" nach dem AMFG) abstellt, sondern beide Elemente - Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und Eintritt in die Pflichtversicherung - kombiniert.

Auch Enzlberger hat in der Besprechung der E 10 ObS 64/09y darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber den eigenen Pensionsanspruch bei originärer Invalidität nach § 255 Abs 7 ASVG nicht geschaffen hätte, wenn ohnehin der bloße Erwerb von Beitragsmonaten schon das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit begründen würde. Es sei evident, dass ein bloßer Erwerb von Beitragszeiten (noch) keine Arbeitsfähigkeit begründe. Umso weniger sei eine Arbeitsfähigkeit anzunehmen, wenn Beitragsmonate nur deshalb erworben worden seien, weil ein Versicherter eine Umschulung nach dem AMFG absolviere.

Zwar liegen in concreto keine exakten Feststellungen darüber vor, welche Tätigkeiten der Kläger im Rahmen der festgestellten Schulungsmaßnahmen verrichtet hat. Auch aus dem AMFG ergeben sich keine Hinweise, welche Maßnahmen für den Kläger in Betracht gekommen sind. Es ist aber nach dem Akteninhalt und nach den Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung davon auszugehen, dass es sich um diverse Kurse handelt, mit denen die Arbeitssuche des Klägers gefördert werden sollte.

Auf dieser Grundlage können die 14 Beitragsmonate der Pflichtversicherung, die der Kläger als Umschüler im Rahmen des AMFG ab November 2002 erworben hat, nicht dazu führen, dass bereits von einem die Pflichtversicherung begründenden Eintritt in das Erwerbsleben auszugehen ist.