31.03.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Entlassungsgrund der "beharrlichen Pflichtverletzung" iSd § 82 lit f zweiter Fall GewO - zur Frage der Beweislastverteilung iZm der Wiederherstellung der Arbeitskraft bzw einem dieser abträglichen Verhalten des Arbeitnehmers für den Fall, dass die Ursache des Krankenstands nicht feststeht

Im Krankenstand eines Arbeitnehmers darf auch der Arbeitgeber grundsätzlich auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose vertrauen; eine die Entlassung rechtfertigende beharrliche Pflichtverletzung liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber ein Verhalten des Arbeitnehmers nachweist, das nach dieser Diagnose geeignet war, den Heilungsverlauf zu gefährden, mag auch aufgrund einer später hervorgekommenen anderen Diagnose eine mögliche Unschädlichkeit des Verhaltens nicht ausgeschlossen sein


Schlagworte: Entlassung, beharrliche Pflichtverletzung, Krankenstand, Wiederherstellung der Arbeitskraft, pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers im Krankenstand, Beweislastverteilung
Gesetze:

§ 82 lit f GewO

GZ 9 ObA 128/10d, 28.02.2011

OGH: Voranzustellen ist, dass der Entlassungsgrund eines unbefugten Fernbleibens des Klägers von der Arbeit iSd § 82 lit f erster Fall GewO hier ausscheidet, weil der Kläger auf die Richtigkeit der ihm im Krankenstand ausgestellten ärztlichen Bescheinigungen vertrauen durfte, wodurch sein Fernbleiben von der Arbeit gerechtfertigt war.

Zu prüfen ist dagegen die Verwirklichung des Tatbestands der "beharrlichen Pflichtverletzung" iSd § 82 lit f zweiter Fall GewO. Dieser Entlassungstatbestand wird durch den Verstoß gegen die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Verpflichtung erfüllt, sich im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird. Der Arbeitnehmer darf insbesondere die Anordnungen des Arztes oder, wenn solche infolge der allgemeinen Lebenserfahrung entbehrlich sind, die Gebote der allgemein üblichen Verhaltensweisen nicht betont und offenkundig verletzen. Ob ein Zuwiderhandeln tatsächlich zu einer Verlängerung des Krankenstands führt, ist in diesem Zusammenhang belanglos; es genügt die Eignung, den Genesungsprozess zu verzögern. Dies fußt, wie das Berufungsgericht zutreffend aufzeigte, auf der Erwägung, dass der Arbeitgeber die Gefährdung seiner dienstlichen Interessen fürchten muss, wenn der Arbeitnehmer nicht die für die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit notwendigen ärztlichen Anordnungen befolgt, sondern ihnen offen zuwider handelt und damit auch die auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gerichteten dienstlichen Interessen des Arbeitgebers verletzt.

Die Beweislast für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes und die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale liegt beim Arbeitgeber, er trägt daher das Risiko der Entlassung. Beweismängel über die einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildende Pflichtwidrigkeit gehen zu seinen Lasten. Ob ein Tatbestand einen wichtigen Grund zur vorzeitigen Lösung darstellt, ist dabei nicht nach der subjektiven Einschätzung des Erklärenden, sondern stets nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Erläuternd wurde dazu festgehalten, dass es dem Dienstgeber obliegt, sich über den zu erwartenden Heilungsverlauf ausreichend zu informieren, widrigenfalls er das Risiko einer unberechtigten Entlassung eingeht.

Die vom Berufungsgericht zur Beweislastverteilung ins Treffen geführte Rsp, dass die Beweislast für einen Rechtfertigungsgrund, der das Entlassungsrecht des Arbeitgebers wegen des ansonsten pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers aufhebt, beim Arbeitnehmer liegt, wurde zum Fernbleiben des Arbeitnehmers von der Arbeit entwickelt, denn in einem solchem Fall liegt das Recht des Arbeitgebers zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits in der Verletzung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, die von diesem sodann mit einem "rechtmäßigen Hinderungsgrund" (vgl § 27 Z 4 AngG) gerechtfertigt werden kann, von ihm daher auch unter Beweis zu stellen ist. Die Rechtfertigung einer Pflichtwidrigkeit setzt freilich erst den Beweis derselben voraus, der aber dem Arbeitgeber obliegt.

Wenn der Arbeitgeber nun, wie dargelegt, das Vorliegen eines Entlassungsgrundes nicht nach seiner subjektiven Einschätzung beurteilen darf, sondern es auf "objektive Gesichtspunkte" anzukommen hat, muss zur Objektivierung eines nach dem Anschein pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers im Krankenstand im Regelfall die fachkundige Diagnose und Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt ausreichen. Auch mit einer sorgfältig erstellten ärztlichen Diagnose ist nämlich kaum je auszuschließen, dass jemand noch ein anderes - vielleicht besonders seltenes und nach dem Beschwerdebild nicht indiziertes - Leiden aufweist, das eine alternative Behandlung und ein anderes Verhalten des Arbeitnehmers im Krankenstand erfordert hätte, das im Diagnosezeitpunkt aber nicht erkennbar war. Mangels Erkennbarkeit kann eine solche Eventualität bei der vom Arbeitgeber angestellten Überprüfung einer - hier aufgrund des Fußballspiels - indizierten Pflichtwidrigkeit des Arbeitnehmers im Krankenstand auch nicht berücksichtigt werden. Nicht anders als ein Arbeitnehmer darf sich in dieser Situation vielmehr auch ein Arbeitgeber, sofern er keine Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis anderer Umstände hat, auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose und Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verlassen, wenn er dessen mögliche Gefährdung des Heilungsverlaufs beurteilt.

Gleichermaßen ist zu bedenken, dass auch der Arbeitnehmer im Krankenstand Wissen darüber benötigt, wie er sich zu verhalten hat, um seine Genesung zu fördern und sich nicht dem Vorwurf eines pflichtwidrigen Verhaltens auszusetzen. Orientierungspunkt dafür kann ihm dabei idR ebenfalls nur die Diagnose seines Arztes sein, aus der aber die für die Heilung nötigen Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers im Krankenstand resultieren, mögen sie vom Arzt nun explizit ausgesprochen worden sein oder - wenn solche infolge der allgemeinen Lebenserfahrung entbehrlich sind - als allgemein übliche Verhaltensweisen geboten sein. Hält sich der Arbeitnehmer wider besseres Wissen nicht daran, liegt auch aus seiner Perspektive ein "objektiv" pflichtwidriges Verhalten im Krankenstand vor.

Unter welchen Voraussetzungen dem Arbeitnehmer in einer solchen Konstellation der Nachweis frei steht, dass sein Verhalten im Krankenstand aufgrund einer erst nach der Entlassung hervorgekommenen anderen Diagnose der Genesung doch nicht abträglich war, braucht hier nicht weiter geprüft zu werden, weil der Kläger einen solchen Nachweis nicht erbracht hat.