14.04.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Entlassung wegen Verletzung allgemein geläufiger Verhaltensweisen im Krankenstand

Wesentlich bleibt immer, ob das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem Angestellten auch subjektiv vorwerfbar ist; dies wäre jedenfalls bei Zuwiderhandlungen gegen eine ausdrückliche ärztliche Anordnung der Fall


Schlagworte: Entlassung, Verletzung allgemein geläufiger Verhaltensweisen im Krankenstand, Vertrauensunwürdigkeit
Gesetze:

§ 27 Z 1 AngG, § 82 lit f GewO

GZ 8 ObA 71/10i, 22.02.2011

OGH: Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses vorliegen, insbesondere ob ein Fehlverhalten eines Angestellten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet war, das Vertrauen des Dienstgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Auf das subjektive Empfinden des Dienstgebers kommt es nicht an.

Ein Dienstnehmer darf die Gebote allgemein üblicher Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen. Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen und/oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann Vertrauensunwürdigkeit begründen.

Wesentlich bleibt dabei aber immer, ob das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem Angestellten auch subjektiv vorwerfbar ist. Dies wäre jedenfalls bei Zuwiderhandlungen gegen eine ausdrückliche ärztliche Anordnung der Fall, ein Vorwurf, der den Kläger nach dem festgestellten Sachverhalt aber nicht trifft.

Vertrauensunwürdigkeit kann allerdings auch schon durch einen Verstoß gegen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung üblichen Verhaltensweisen begründet werden. Dies setzt aber voraus, dass die spezielle Erkrankung und das bei ihrem Auftreten gebotene Verhalten tatsächlich allgemein geläufig sind, sodass der durchschnittlich informierte Patient auch ohne genaue ärztliche Anweisungen erkennen kann, was er vermeiden muss, um eine Verzögerung des Heilungsverlaufs hintanzuhalten.

Solche Umstände gehen aus dem Sachverhalt aber nicht hervor. Nach den für den OGH bindenden Feststellungen mussten auch die Vorgesetzten des Klägers selbst vor seiner Entlassung erst den Betriebsarzt konsultieren, um die potentielle Abträglichkeit des klägerischen Verhaltens verlässlich beurteilen zu können. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen davon ausgegangen sind, dass auch dem Kläger selbst nach den Umständen des Einzelfalls (gerade noch) keine Verletzung allgemein geläufiger Verhaltensweisen im Krankenstand vorgeworfen werden kann, liegt darin kein vom OGH im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifender grober Rechtsirrtum.