14.04.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Ausbildungskostenrückersatz - zur Auslegung des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG

Bei der Anwendung von § 19 Abs 1 Z 18 Satz 2 AVRAG ist eine Differenzierung danach, ob eine Alt-Kollektivnorm den Ausbildungskostenrückersatz unmittelbar normativ regelt oder bloß den zulässigen Inhalt einer erst individuell abzuschließenden Vereinbarung festlegt, nicht geboten


Schlagworte: Ausbildungskostenrückersatz, Inkrafttreten, Alt-Kollektivnorm, Alt-Individualvereinbarungen, unmittelbare / mittelbare Wirkung
Gesetze:

§ 19 Abs 1 Z 18 AVRAG, § 2d AVRAG

GZ 9 ObA 20/11y, 28.02.2011

OGH: Eine Interpretation nach dem Wortlaut des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG führt entgegen der Ansicht des Klägers noch nicht dazu, dass die vorliegende Vereinbarung jedenfalls unter Satz 1 zu subsumieren wäre, weil sie dann, wenn sich die "bestehenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz" auch auf sie beziehen, von Satz 1 gerade auszunehmen wäre.

Der Wille des historischen Gesetzgebers erlaubt folgende Deutung: Nach dem Initiativantrag vom 11. 5. 2005, 605/A XXII. GP, sollten vor dem 1. 7. 2005 vereinbarte Konkurrenzklauseln bzw bestehende Regelungen über den Ausbildungskostenrückersatz in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder in Einzelverträgen unberührt bleiben und weiter nach Maßgabe der bisherigen Judikatur zu beurteilen sein. Daraus geht als gesetzgeberischer Wille hervor, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 2d AVRAG bestehende kollektivvertragliche Regelungen weiterhin ihre Geltung behalten sollten, die Neuregelung des § 2d AVRAG also nicht nur nicht in Alt-Individualvereinbarungen zum Ausbildungskostenrückersatz eingreifen sollte, sondern auch nicht in entsprechende Regelungen in Alt-Kollektivverträgen.

Anhaltspunkte für die vom Kläger geforderte Differenzierung zwischen "unmittelbar" und nur "mittelbar" anzuwendenden kollektivvertraglichen Regelungen zum Ausbildungskostenrückersatz bestehen nicht. Dies geht aus dem Wortlaut nicht hervor, ist aber auch nach dem Zweck der Bestimmung nicht zu unterstellen. Zu bedenken ist nämlich, dass der Gesetzgeber durch das "Unberührt-Lassen" bestehender kollektivvertraglicher Normen ihre Weitergeltung auch über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGBl I Nr 36/2006 hinaus anerkannt hat. Dies ist nicht anders zu erklären, als dass er zu jenem Zeitpunkt bestehende Kollektivvertragsnormen als sozialpartnerschaftlich ausverhandelte und damit hinlänglich ausgewogene Regelungen zum Ausbildungskostenrückersatz selbst dann für die Zukunft akzeptieren wollte, wenn sie vom Schutzniveau des § 2d AVRAG abwichen. Das wird auch dadurch deutlich, dass sich die Materialien für die Überprüfung der Sachgerechtigkeit der entsprechenden Vereinbarungen auf eine Beurteilung "nach Maßgabe der bisherigen Judikatur" verließen.

Vor diesem Hintergrund kann es aber keinen Unterschied machen, ob kollektivvertragliche Alt-Normen über den Ausbildungskostenrückersatz keiner gesonderten individualvertraglichen Regelung mehr bedürfen ("unmittelbare Wirkung") oder eine solche nach Maßgabe eines Alt-Kollektivvertrags noch gesondert erforderlich ist ("mittelbare Wirkung"). Für den Arbeitnehmer resultiert daraus aufgrund des zwingenden Charakters solcher kollektivvertraglichen Bestimmungen (§ 3 Abs 1 ArbVG) auch kein besonderes Gefahrenmoment. Mögen kollektivvertragliche Bestimmungen zum Ausbildungskostenrückersatz im Einzelnen auch unmittelbar wirksam sein, ist dem Berufungsgericht hier doch darin beizupflichten, dass eine Regelung des Ausbildungskostenrückersatzes schon aufgrund der Notwendigkeit, die jeweilige Ausbildung und ihre Kosten zu konkretisieren und die Teilnahme des Arbeitnehmers festzulegen, in aller Regel - nach Maßgabe des Kollektivvertrags - individualvertraglich zu treffen sein wird. Bei der Anwendung von § 19 Abs 1 Z 18 Satz 2 AVRAG ist eine - im Gesetzeswortlaut nicht verankerte - Differenzierung danach, ob eine Alt-Kollektivnorm den Ausbildungskostenrückersatz unmittelbar normativ regelt oder bloß den zulässigen Inhalt einer erst individuell abzuschließenden Vereinbarung festlegt, daher auch nach dem Gesetzeszweck nicht geboten.

Eine parallele Geltung von Satz 1 und Satz 2 ist hier entgegen der Revisionsansicht nicht zu befürchten, weil Neuvereinbarungen, die in den Geltungsbereich einer Alt-Kollektivnorm zum Ausbildungskostenrückersatz fallen, dann von Satz 1 nicht erfasst werden.

§ 16 AVRAG, der die dem Arbeitnehmer aufgrund der §§ 2 - 15a AVRAG zustehenden Rechte durch Arbeitsvertrag oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung als unabdingbar erklärt, steht dem nicht entgegen, weil die Auslegung des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG gar nicht zum Entstehen eines Rechtes aus § 2d AVRAG führt.

Da § 2d AVRAG somit unanwendbar ist, ist auf die Frage der Gültigkeit der gewählten Aliquotierung in Hinblick auf § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG nicht näher einzugehen.