21.04.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Betriebsübergang -Kündigungsrecht bei wesentlicher Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gem § 3 Abs 5 AVRAG und Feststellungsklage nach § 3 Abs 6 AVRAG

Eine Kündigung ist auch vor dem Betriebsübergang gegenüber dem "Veräußerer" möglich; sollte der Betriebsübergang dann nicht stattfinden, wird wohl die Grundlage für die Kündigung wegfallen; die Annahme der Möglichkeit, die Kündigung bereits vor dem Betriebsübergang mit Bezug auf § 3 Abs 5 AVRAG auszusprechen, bedeutet auch, dass die Einbringung der Feststellungsklage nach § 3 Abs 6 AVRAG, noch durch den "Veräußerer"-Betriebsrat erfolgen kann


Schlagworte: Betriebsübergang, Kündigungsrecht, wesentliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Feststellungsklage, Betriebsrat
Gesetze:

§ 3 Abs 5 AVRAG, § 3 Abs 6 AVRAG, § 54 ASGG

GZ 8 ObA 41/10b, 22.02.2011

Der klagende Betriebsrat begehrt gestützt auf § 3 Abs 6 AVRAG die Feststellung, dass durch den Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH eine wesentliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen eingetreten sei. Das Klagebegehren zielt somit auf die Feststellung der Voraussetzungen für das Kündigungsrecht nach § 3 Abs 5 AVRAG ab.

OGH: Der Gesetzgeber äußert sich in § 3 Abs 5 AVRAG beim dort angesprochenen Kündigungsrecht nicht darüber, gegenüber wem die Kündigung zu erfolgen hat. Daher ist von der Grundanordnung des § 3 Abs 1 AVRAG auszugehen, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsübergang auf den neuen Betriebsinhaber übergeht. Das Gesetz stellt nun in § 3 Abs 5 1. Satz AVRAG darauf ab, dass der Arbeitnehmer einen Monat nach "Kenntnis" ("Kennenmüssen") der Verschlechterungen durch den nach dem Betriebsübergang anzuwendenden Kollektivvertrag (Betriebsvereinbarung) zu kündigen hat. Ob die Kündigung auch bereits vor dem Betriebsübergang erfolgen kann, ist dem Gesetz nicht klar zu entnehmen. Die ausgeprägten Verständigungspflichten gerade auch hinsichtlich der danach eintretenden Rechtsfolgen (Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung; § 3a Z 3 AVRAG), aber auch die in der Rsp des EuGH vorgegebene Möglichkeit des Arbeitnehmers, nicht mehr beim "Erwerber" arbeiten zu müssen, sprechen dafür, auch eine Kündigung vor dem Betriebsübergang gegenüber dem "Veräußerer" zuzulassen. Sollte der Betriebsübergang dann nicht stattfinden, wird wohl die Grundlage für die Kündigung wegfallen.

Die Annahme der Möglichkeit, die Kündigung bereits vor dem Betriebsübergang mit Bezug auf § 3 Abs 5 AVRAG auszusprechen, bedeutet aber auch, dass die Einbringung der Feststellungsklage nach § 3 Abs 6 AVRAG, noch durch den "Veräußerer"-Betriebsrat erfolgen kann. Dass in weiterer Folge der Betriebsübergang eintritt und die Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheiden, ändert nichts an dessen Aktivlegitimation für das Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG. Zwar können danach die Betriebsräte nur "im Rahmen ihres Wirkungsbereiches" klagen. Jedoch ist es seit der Novelle BGBl 1994/624 "ohne Belang, wenn sich nach der Streitanhängigkeit die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens auf einen Arbeitnehmer verringert oder die Strittigkeit des Rechts oder Rechtsverhältnisses zwar nicht mehr einen Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens, wohl aber zumindest noch einen zwischenzeitig aus dem Betrieb oder Unternehmen ausgeschiedenen Arbeitnehmer betrifft." Hier wurde die Klage bereits vor dem Betriebsübergang (1. 1. 2009) eingebracht (24. 10. 2008). Die Zuständigkeit des Betriebsrats ist daher gegeben (vgl auch § 234 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revision, wonach unter dem Aspekt des § 3 Abs 5 AVRAG die vertragliche Zusage nicht die kollektivvertragliche Wirkung ersetzen könne, entgegenzuhalten, dass dies der Gesetzgeber selbst in § 3 Abs 4 AVRAG bei einem früher auf Grundlage des Kollektivvertrags zustehenden Bestandschutz vorgesehen hat.