21.04.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zurücknahme der Klage - Wiederholungsbescheid nach § 72 ASGG

Von der Regelung des § 72 Z 2 lit c zweiter Halbsatz ASGG sind jene Bescheide erfasst, in denen die Zuerkennung von Leistungen abgelehnt und zugleich die (spruchmäßige) Feststellung getroffen wurde, dass eine (tatsächlich eingetretene) Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist; in diesen Fällen ist nunmehr davon auszugehen, dass mit der Bekämpfung des die Leistungen ablehnenden Bescheids auch diese Feststellung außer Kraft getreten ist und daher aufgrund der dargelegten Erwägungen des Gesetzgebers ein "Wiederholungs-Feststellungsbescheid" zu erlassen ist


Schlagworte: Unfallversicherung, Arbeitsunfall, Zurücknahme der Klage, Wiederholungsbescheid, sukzessive Kompetenz
Gesetze:

§ 72 ASGG

GZ 10 ObS 10/11k, 01.03.2011

OGH: Das Ziel der Regelungen des § 72 ASGG liegt darin, einerseits die Wirkungen der Klagsrücknahme auf die zugrunde liegende Leistungspflicht und das Bescheidverfahren als Folge der sukzessiven Zuständigkeit in Einklang zu bringen, andererseits sicherzustellen, dass der Versicherte den an sich unstrittig gebliebenen Teil - die ursprünglich zuerkannten Leistungen - weiterhin zugesprochen erhält. Danach tritt als Konsequenz der sukzessiven Kompetenz der durch die Klagserhebung außer Kraft getretene Bescheid nach der Klagsrückziehung nicht wieder in Kraft (Z 1). Damit dann nicht der ursprüngliche Antrag als "offen" gilt, gilt auch dieser als zurückgezogen (Z 2 lit b). Der Versicherte hat nur mehr Anspruch auf Wiedererlassung (genau) des früheren Bescheids nach Z 2 lit c ("Wiederholungsbescheid"). Der Versicherungsträger hat daher binnen vier Wochen ab Kenntnis von der Klagsrücknahme mit "Wiederholungsbescheid" jene Leistung festzustellen, die er dem Versicherten auch nach dem Zeitpunkt der Zurücknahme der Klage nach dem § 71 Abs 2 ASGG zu gewähren hätte, wenn die Klage nicht zurückgenommen worden wäre. Ein Wiederholungsbescheid ist nach § 72 Z 2 lit c zweiter Halbsatz ASGG auch zu erlassen, wenn im ursprünglichen Bescheid das Vorliegen eines Arbeitsunfalls in Form einer Feststellung bejaht worden war.

Nach den Erläuternden Bemerkungen zur RV BlgNR 1654 XVIII. GP 26 soll mit der Einführung eines "Wiederholungs-Feststellungsbescheids" in § 72 Z 2 lit c zweiter Halbsatz ASGG durch die ASGG-Nov 1994 den Anliegen des § 65 Abs 2 Satz 2 sowie des § 82 Abs 5 ASGG, künftige Streitigkeiten zu vermeiden, zumindest aber deren Entscheidung dadurch zu erleichtern, dass über die Streitigkeit des Vorliegens eines Arbeitsunfalls (und der damit verbundenen Gesundheitsstörungen) möglichst rasch nach dem Unfallsgeschehen rechtskräftig abgesprochen wird, Rechnung getragen werden. Zu den möglichen Anlassfällen eines solchen Feststellungsbescheids führen die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ua aus, dass ein Unfallversicherungsträger einen Leistungsanspruch eines Versicherten verneinen könne, weil gar kein Arbeitsunfall vorliege oder zwar ein Arbeitsunfall vorliege, er aber keinerlei Gesundheitsstörung oder keine iSe wesentlichen Bedingung oder keine in einem, einen Leistungsanspruch begründenden Ausmaß zur Folge gehabt habe. Da in solchen Fällen wegen des weiten Außerkrafttretens des bekämpften Bescheids nicht gesichert erscheine, dass der Ausspruch des Bescheids über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls von der Klage unberührt bleibe, bestehe die Gefahr, dass es nach der Klagsrücknahme durch den Versicherten für die Zukunft an einer rechtskräftigen Entscheidung über das Vorliegen (bzw Nichtvorliegen) eines Arbeitsunfalls fehle. Da der Versicherte sehr wohl ein Rechtsschutzinteresse daran haben könne, dass das Vorliegen eines Arbeitsunfalls rechtskräftig festgestellt sei, auch wenn die von ihm (derzeit) geltend gemachte Gesundheitsstörung für einen Leistungsanspruch nicht ausreiche, solle auch in diesem Fall dem Versicherten nach seiner Klagsrücknahme zwecks Vermeidung eines späteren schwierigen Beweisverfahrens ein Anspruch auf einen "Wiederholungsbescheid" zustehen.

Von dieser Neuregelung des § 72 Z 2 lit c zweiter Halbsatz ASGG sind somit jene Bescheide erfasst, in denen die Zuerkennung von Leistungen abgelehnt und zugleich die (spruchmäßige) Feststellung getroffen wurde, dass eine (tatsächlich eingetretene) Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist. In diesen Fällen ist nunmehr davon auszugehen, dass mit der Bekämpfung des die Leistungen ablehnenden Bescheids auch diese Feststellung außer Kraft getreten ist und daher aufgrund der dargelegten Erwägungen des Gesetzgebers ein "Wiederholungs-Feststellungsbescheid" zu erlassen ist.

Der Bescheid der Beklagten vom 17. 10. 2001 ist durch die rechtzeitige Erhebung der Klage an das Sozialgericht in seinem gesamten Umfang (Anerkennung bestimmter Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls und Ablehnung des Begehrens auf Gewährung einer Versehrtenrente) außer Kraft getreten. Durch die Klagsrückziehung in der Tagsatzung am 17. 2. 2004 ist der durch die Klage (zur Gänze) außer Kraft getretene Bescheid nicht wieder in Kraft getreten. Der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente galt gem § 72 Z 2 lit b ASGG als zurückgezogen und konnte daher nicht mehr Gegenstand einer Entscheidung des beklagten Sozialversicherungsträgers sein. Die von der Beklagten im Wiederholungsbescheid vom 23. 2. 2004 vorgenommene Feststellung, dass nach dem Arbeitsunfall vom 8. 12. 2000 kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe, entbehrt somit einer gesetzlichen Grundlage und war daher unzulässig. Die Beklagte hätte in ihrem Wiederholungsbescheid gem § 72 Z 2 lit c zweiter Halbsatz ASGG vielmehr neuerlich (nur) die Feststellung treffen müssen, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen Folge eines Arbeitsunfalls sind.

In der Folge hat der Kläger bei der Beklagten am 14. 3. 2005 sowie am 1. 2. 2007 zwei weitere Anträge auf Gewährung einer Versehrtenrente gestellt, welche von der Beklagten mit Bescheid vom 1. 6. 2005 abgewiesen bzw mit Bescheid vom 16. 5. 2007 zurückgewiesen wurden. Der Kläger hat auch gegen diese beiden Bescheide rechtzeitig Klage erhoben, seine Klage jedoch in der Folge im sozialgerichtlichen Verfahren jeweils wieder zurückgezogen. Auch durch diese Klagsrückziehungen sind die durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheide nicht wieder in Kraft getreten und die entsprechenden Anträge des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. 12. 2000 galten als zurückgezogen. Die von der Beklagten aus Anlass der Klagsrückziehung erlassenen Wiederholungsbescheide vom 20. 6. 2006, wonach "kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe" bzw vom 7. 3. 2008, wonach der "Antrag vom 1. Februar 2007 auf Zuerkennung der Versehrtenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Dezember 2000 gem § 362 ASVG zurückgewiesen worden sei", entbehrten daher ebenfalls einer gesetzlichen Grundlage.

Zutreffend ist daher das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass den ohne Rechtsgrundlage ergangenen Wiederholungsbescheiden der Beklagten keine Rechtskraftwirkung iSd § 183 Abs 1 ASVG zukommen kann, weil zulässiger Inhalt eines Wiederholungsbescheids nur die Feststellung des Vorliegens (bzw Nichtvorliegens) eines Arbeitsunfalls gewesen wäre und insoweit eine "Änderung der Verhältnisse" iSd § 183 Abs 1 ASVG nicht in Betracht kommt. Beim gegenständlichen Verfahren handelt es sich auch nicht um die Wiederherstellung des gesetzlichen Zustands nach § 101 ASVG, wofür auch keine Zuständigkeit der Sozialgerichte gegeben wäre. Dem Kläger stand es nach den Klagsrücknahmen in den sozialgerichtlichen Verfahren vielmehr frei, seinen Anspruch auf Versehrtenrente bei der Beklagten jeweils neuerlich geltend zu machen.

Über den verfahrensgegenständlichen Antrag des Klägers vom 3. 10. 2008 war daher nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts unabhängig von den Ergebnissen der vorangegangenen Verfahren neu zu entscheiden. Gleichzeitig löste der neue Antrag des Klägers beim beklagten Versicherungsträger, wie ebenfalls bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein neues Anfallsdatum für die begehrte Versehrtenrente aus. Dass aber dem Kläger unter alleiniger Berücksichtigung der Ergebnisse des gegenständlichen Verfahrens für die Folgen seines Arbeitsunfalls vom 8. 12. 2000 die vom Berufungsgericht für den Zeitraum ab der neuerlichen Antragstellung (3. 10. 2008) dem Grunde nach zugesprochene Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als Dauerrente zusteht, wird auch in den Rechtsmittelausführungen der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.