20.09.2007 Strafrecht

OGH: Würde man die Auffassung vertreten, dass Überschriften in allen Fällen isoliert zu beurteilen seien, wäre es den Medien de facto verwehrt, plakative Titel zu einem Bericht oder Bilduntertitelungen innerhalb eines Artikels zu verwenden, wenn damit der vom Mediuminhalt Betroffene kritisch angegriffen würde


Schlagworte: Medienrecht, Gegendarstellung, Tatsachenbehauptung, Überschriften, Schlagzeilen
Gesetze:

§ 9 MedienG

In seinem Erkenntnis vom 23.08.2007 zur GZ 12 Os 36/07x hat sich der OGH mit der Gegendarstellung iSd § 9 MedienG befasst:

OGH: Wird in einem Artikel über Äußerungen eines politischen Mandatars, insbesondere über eine solche in einer öffentlichen Sitzung einer parlamentarischen Institution iSd § 11 Abs 1 Z 1 MedienG berichtet, so ist grundsätzlich die in diesem Medium durch den inkriminierten Bericht insgesamt vermittelte Information darüber heranzuziehen, um feststellen zu können, ob die vorgebrachte Gegenthese tatsächlich eine Kontradiktion enthält. Wer sich im politischen Diskurs an die Öffentlichkeit wendet, muss damit rechnen, dass diese Aussagen journalistisch vor allem in Form von Hervorhebungen und Überschriften gekürzt und in plakativer Weise aufbereitet werden.

Es ist ein Faktum der heutigen Lebensrealität, dass Medien sich vielfach knapper, zugespitzter Zusammenfassungen bedienen, um das Publikum in Zeiten der Informationsüberfrachtung leichter zu erreichen. Der isolierten Beurteilung einer Schlagzeile oder einer ähnlichen Hervorhebung steht allerdings der Grundsatz entgegen, dass jede Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang, in dem sie fiel, zu beurteilen ist. Dass sich die Unrichtigkeit einer Äußerung auch aus ihrer (irreführenden) Unvollständigkeit (iSd § 9 Abs 3 MedienG) ergeben kann, steht mit der grundsätzlich gebotenen Beurteilung nach dem Gesamtzusammenhang nicht in Widerspruch. Wenn sich aus dem gesamten Text ergibt, was mit der Überschrift gemeint war, ist der Titel eben nicht unklar. Würde man hingegen die Auffassung vertreten, dass Überschriften in allen Fällen isoliert zu beurteilen seien, wäre es den Medien de facto verwehrt, plakative Titel zu einem Bericht oder Bilduntertitelungen innerhalb eines Artikels zu verwenden, wenn damit der vom Mediuminhalt Betroffene kritisch angegriffen würde. Es liegt auf der Hand, dass mit Gegendarstellungen zu besonders pointierten Überschriften, losgelöst vom übrigen Text, ein unverhältnismäßiger, auch durch die verfassungsgesetzlichen Gesetzesvorbehalte nicht mehr gedeckter Eingriff in die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art 10 Abs 1 MRK und Art 13 StGG vorgenommen würde.

Die aus dem bei einem Teil der Konsumenten üblichen bloßen "Schlagzeilenlesen" abgeleitete Forderung nach einer isolierten Beurteilung von Schlagzeilen und Überschriften steht daher im Konflikt mit den Ansprüchen der Medien und dem Grundsatz, dass jede Äußerung nach dem Verständnis des angesprochenen Publikums zu beurteilen ist. Maßstab ist der unbefangene "Durchschnittsleser", also das Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten (§ 1297 ABGB) Erklärungsempfängers. Wenn schon jede Schlagzeile selbständig und nach der Unklarheitenregel zu Lasten des Äußernden zu beurteilen wäre, so setzte dies nach dem eben erläuterten Grundsatz voraus, dass ein so genannter "Schlagzeilenleser" der maßstabgetreue Durchschnittsleser wäre. Dies ließe sich nicht mit dem auch in der Rechtsprechung des EuG und des EuGH zu gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vertretenen Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Konsumenten vereinbaren. Ein so definierter Erklärungsempfänger wird einem unvollständigen, aufklärungsbedürftigen Text in einer Überschrift entweder durch Lesen des Artikels nachgehen oder aber bewusst im Unklaren über den Sinn des Titels verbleiben, dies dann aber auf seine Unterlassung zurückführen, den gesamten Text zu lesen. Zur verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit nach Art 10 Abs 1 MRK und Art 13 StGG gehört es auch, wirksame Überschriften, Schlagzeilen, Artikelankündigungen oder eben Bilduntertitelungen zu bilden, die orientieren und das Interesse am Lesen wecken sollen. Deshalb kann nicht jede präzisierungsbedürftige Aussage isoliert betrachtet werden, sondern nur eine selbständige Aussage. Unter dem insoweit maßgeblichen Gesichtspunkt des verständigen Erklärungsadressaten gilt für (im medialen Schlagzeilen- und Hervorhebungsbereich in der Regel) unvollständige Tatsachenbehauptungen, dass derartig ergänzungsbedürftige Titel oder Bildunterlegungen nicht selbständig und isoliert in Richtung der Zulässigkeit einer Gegendarstellung zu betrachten sind. Solche Textstellen können vielmehr durch den nachfolgenden Bericht vervollständigt werden. Grundsätzlich sind daher verkürzende - solcherart regelmäßig ergänzungsbedürftige - Schlagzeilen und andere Hervorhebungen am Gesamtinhalt des Textes zu prüfen. Wenn allerdings eigenen Erklärungswert aufweisende Tatsachenbehauptungen in einer Überschrift mit denjenigen im Folgetext in keiner Weise in Einklang zu bringen sind, liegt es auf der Hand, dass zwei selbständig zu beurteilende Äußerungen vorliegen, sodass dann der Schutz des Betroffenen nach § 9 MedienG auch den Titel allein erfasst. Nur ausnahmsweise können daher auch Überschriften oder sonstige plakativ-mediale Gestaltungselemente mittels einer Gegendarstellung bekämpft werden, sofern sie nämlich einen eigenen Erklärungswert besitzen und infolge sinnentstellender Verkürzung die im Artikel an anderer Stelle richtig - iSv umfassend - wiedergegebenen Äußerungen geradezu ins Gegenteil verkehren, also den Inhalt der Botschaft konterkarieren.