06.02.2008 Strafrecht

OGH: Wiedereinsetzung und Fehler des Rechtsanwaltsanwärters

Der Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der einem Kanzleiangestellten (oder bereits geprüften Rechtsanwaltsanwärter) für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Postaufgabe eines Schriftstückes tatsächlich erfolgt; einer weiteren Kontrolle bedarf es nicht


Schlagworte: Strafprozessrecht, Wiedereinsetzung, Rechtsanwaltsanwärter, Kanzleiangestellter, manipulativer Vorgang, Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten
Gesetze:

§ 364 StPO

GZ 13 Os 120/07g, 07.11.2007

Nach dem Vorbringen diktierte der Verteidiger die "Rechtsmittelerklärung" unmittelbar nach der Hauptverhandlung und übergab den Schriftsatz der äußerst verlässlichen und seit Jahren in der Kanzlei tätigen (geprüften) Rechtsanwaltsanwärterin Mag O am Vormittag des 10. April 2007 mit dem Auftrag, diesen anlässlich der Verrichtung einer für den Nachmittag des selben Tages in einer anderen Causa anberaumten Verhandlung in der Einlaufstelle des LG Salzburg zu überreichen. Weil Mag O - für sie unvorhersehbar - erst kurz vor dem Verhandlungstermin von dessen Abberaumung in Kenntnis gesetzt wurde, vergaß sie darauf, die zuvor in die bezughabende Verhandlungsakte eingelegte Rechtsmittelerklärung zu Gericht zu bringen oder zur Postabfertigung weiterzuleiten. Erst als der Verteidiger sie am 11. April 2007 um Übergabe des mit der Einlaufstampiglie versehenen Schriftsatzes zwecks Einreihung in die Kanzleiakte ersuchte, erkannte die Rechtsanwaltsanwärterin ihren Fehler mit Bestürzung und informierte ihren Arbeitgeber. Ein solches Versehen ist während der mehrjährigen Tätigkeit der Mag O als Rechtsanwaltsanwärterin in der Anwaltskanzlei noch nicht vorgekommen. Diese Erklärung wurde durch den Verteidiger und Mag O unterfertigt.

OGH: Nach stRsp hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden wiederum dem Vertretenen) zuzurechnen.

Das Verschulden eines Kanzleiangestellten steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war und dem Verteidiger nicht die Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss. Sowohl der OGH als auch der VwGH setzen im Wiedereinsetzungsbereich den Konzipienten dem Kanzleiangestellten (und nicht dem Rechtsanwalt) gleich. Nach gleichfalls einhelliger Judikatur darf der Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass der einem Kanzleiangestellten (oder - wie hier - einer bereits geprüften Rechtsanwaltsanwärterin) für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Postaufgabe eines Schriftstückes tatsächlich erfolgt. Einer weiteren Kontrolle bedarf es nicht.

Ausgehend vom nicht widerlegten Vorbringen des Wiederaufnahmswerbers war für den Verfahrenshilfeverteidiger demnach die einmalige - wenn auch schwere und kaum nachvollziehbare - Fehlleistung seiner seit mehreren Jahren bei ihm beschäftigten und stets zuverlässigen Rechtsanwaltsanwärterin ein unvorhersehbarer, demnach unabwendbarer Umstand, an dem ihm angesichts der ausreichenden Vorsorge für die rechtzeitige Anmeldung kein Verschulden trifft und der es ihm unmöglich machte, innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde anzumelden.