28.02.2008 Strafrecht

OGH: Das Diversionshindernis der "schweren Schuld" ist vom Strafbefreiungshindernis des "schweren Verschuldens" iSd § 88 Abs 2 StGB strikt zu unterscheiden

Bei der Bewertung des Grades der Schuld als "schwer" ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist


Schlagworte: Strafprozessrecht, Diversion, schwere Schuld
Gesetze:

§ 90a StPO

GZ 15 Os 128/07y, 22.11.2007

OGH: Ein Vorgehen nach dem IXa. Hauptstück der StPO setzt neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt und dem Fehlen spezial- und generalpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 90a Abs 1 StPO) ua eine als nicht schwer anzusehende Schuld des Verdächtigen voraus (§ 90a Abs 2 Z 2 StPO).

Bei der Bewertung des Grades der Schuld als "schwer" ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Demnach müssen sowohl das Handlungs- als auch das Gesinnungsunrecht insgesamt eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt auch der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehaltes eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu.

Bei Prüfung der Frage, ob die Schuld als schwer einzustufen ist, ist zu berücksichtigen, dass das Diversionshindernis der "schweren Schuld" vom Strafbefreiungshindernis des "schweren Verschuldens" iSd § 88 Abs 2 StGB strikt zu unterscheiden ist. Während das "schwere Verschulden" ganz spezifisch auf gravierende Verletzungen gerade des § 88 Abs 1 StGB zielt, ist die "schwere Schuld" auf den Gesamtbereich der für Diversion prinzipiell offenen Delikte zu beziehen. Bei Delikten mit geringeren Strafobergrenzen ist angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwertes daher die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld iSd § 90a Abs 2 Z 2 StPO niedriger anzusetzen als bei einem mit einer höheren Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen. Beim Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB (mit einer Strafobergrenze von drei Monaten Freiheitsstrafe) kommt demnach eine diversionelle Erledigung aufgrund Erreichens des in Rede stehenden Schuldgrades überhaupt nur in Ausnahmefällen nicht in Betracht.