30.10.2008 Strafrecht

OGH: Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person - erfordert § 205 StGB Zurechnungsunfähigkeit?

Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB stellt nicht darauf ab, dass das Opfer infolge voller Berauschung zurechnungsunfähig gewesen wäre


Schlagworte: Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person
Gesetze:

§ 205 StGB

GZ 15 Os 94/08z, 21.08.2008

OGH: Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB stellt nicht darauf ab, dass das Opfer infolge voller Berauschung zurechnungsunfähig gewesen wäre. Nach § 205 Abs 1 StGB ist zu bestrafen, wer eine wehrlose Person oder eine Person, die wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornimmt. Wehrlos iSd ersten Falles des § 205 Abs 1 StGB ist, wer - etwa auch infolge Alkoholgenusses - widerstandsunfähig ist. Widerstandsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Widerstand für die betroffene Person unmöglich, aussichtslos oder unzumutbar ist.

Trotz der Anlehnung des Wortlautes an die Bestimmung des § 11 StGB (Zurechnungsunfähigkeit) ist das objektive Tatbild des zweiten Falles der zitierten Bestimmung bereits dann erfüllt, wenn die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit des Opfers, etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum, insoweit aufgehoben ist, als es unfähig ist, die Bedeutung des sexuellen Vorgangs zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Dazu muss die Willenstätigkeit nicht vollständig ausgeschaltet sein. Es genügt, wenn das Opfer nicht in der Lage ist, durch verstandesmäßige Erwägungen über das an dieses gestellte Verlangen frei zu entscheiden. Dies kann - insbesondere unter Berücksichtigung des Lebensalters des Opfers - bereits bei mittelgradiger Berauschung der Fall sein.