31.08.2011 Zivilrecht

OGH: Irrtumsanfechtung gem § 871 ABGB (iZm Verkauf einer Eigentumswohnung)

Ein Irrtum über eine wertbildende Eigenschaft gehört zum Inhalt des Geschäfts und ist deshalb Geschäftsirrtum; ein solcher Geschäftsirrtum ist aber nur dann verwirklicht, wenn er für die Bestimmung der Gegenleistung maßgebend war und deshalb zum Inhalt des Geschäfts gehört; analog zu den Gewährleistungsregeln gelten als Inhalt einer Erklärung jene Eigenschaften, die üblicherweise bei entsprechenden Geschäften vorausgesetzt werden, außerdem solche, die besonders bedungen wurden; die in einem Zeitungsinserat / auf einer Internetplattform gemachten Angaben des Veräußerers über die Beschaffenheit einer Immobilie, die dem Erwerber zur Kenntnis gelangten, sind in die Vertragsauslegung einzubeziehen


Schlagworte: Irrtumsanfechtung, Geschäftsirrtum, Beschaffenheit einer Immobilie, Zeitungsinserat, Internetplattform
Gesetze:

§ 871 ABGB

GZ 2 Ob 176/10m [1], 22.06.2011

 

OGH: Das Recht zur Vertragsanpassung setzt das Vorliegen eines vom Gegner veranlassten Geschäftsirrtums voraus, während ein Motivirrtum nur in bestimmten Ausnahmefällen zur Anfechtung berechtigt. Bei einem Geschäftsirrtum muss sich die unrichtige Vorstellung des Irrenden auf innerhalb, beim Motivirrtum muss sie sich auf außerhalb des Geschäfts liegende Punkte beziehen. Ob ein Irrtum über eine bestimmte Eigenschaft des Vertragsgegenstands Geschäfts- oder Motivirrtum ist, hängt somit davon ab, ob die betreffende Eigenschaft Vertragsinhalt war. Dies kann erst durch Vertragsauslegung ermittelt werden. Nach stRsp ist der Irrtum über den gemeinen Wert des Vertragsgegenstands als Motivirrtum anzusehen. Ein Irrtum über eine wertbildende Eigenschaft gehört hingegen zum Inhalt des Geschäfts und ist deshalb Geschäftsirrtum. Ein solcher Geschäftsirrtum ist aber nur dann verwirklicht, wenn er für die Bestimmung der Gegenleistung maßgebend war und deshalb zum Inhalt des Geschäfts gehört.

 

Nach den dargelegten Grundsätzen ist zunächst zu prüfen, ob die vom Kläger ins Treffen geführten Umstände Vertragsinhalt waren. Ihre besondere Erwähnung in der Vertragsurkunde wäre dazu nicht erforderlich. Es ist auch nicht nötig, dass sie ausdrücklich oder schlüssig zugesichert worden sind.

 

Analog zu den Gewährleistungsregeln gelten als Inhalt einer Erklärung jene Eigenschaften, die üblicherweise bei entsprechenden Geschäften vorausgesetzt werden, außerdem solche, die besonders bedungen wurden. Was geschuldet wird, ergibt sich weiters aus § 922 Abs 2 ABGB. Nach dem ersten Satz dieser Bestimmung ist die Frage, ob die Sache dem Vertrag entspricht, auch danach zu beurteilen, was der Übernehmer aufgrund der über sie gemachten öffentlichen Äußerungen des Übergebers oder bestimmter dritter Personen (Hersteller, EWR-Importeur, Quasi-Hersteller), va in der Werbung und in den der Sache beigefügten Angaben, erwarten kann.

 

Der OGH hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass die in einem Zeitungsinserat gemachten Angaben des Veräußerers über die Beschaffenheit eines Grundstücks (dort: Bezeichnung als „Seegrundstück“), die dem Erwerber zur Kenntnis gelangten, in die Vertragsauslegung einzubeziehen sind. Dies ist schon aus allgemein rechtsgeschäftlichen Grundsätzen ableitbar; ist doch regelmäßig davon auszugehen, dass derartige öffentliche Aussagen des Veräußerers oder seiner Verhandlungsgehilfen den konkreten Vertragsverhandlungen (stillschweigend) zugrunde gelegt werden und auf diesem Weg Eingang in die Vereinbarung finden können. Dabei ist hier nicht entscheidend, ob das Kriterium der Öffentlichkeit eine Äußerung verlangt, die sich aus der Sicht des Erwerbers an einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis richtet, oder ob es ausreicht, dass die Äußerung an eine größere Anzahl von Personen gerichtet ist. Bei einem Zeitungsinserat sind beide Voraussetzungen erfüllt. Dasselbe gilt, wenn das Inserat von einer Internetplattform abrufbar ist.

 

Das im Inserat der Nebenintervenientin (Immobilienmaklerin) angegebene „Baujahr“ war von dieser frei erfunden worden, zielführende Erkundigungen - etwa beim beklagten Verkäufer - wurden unterlassen. In dem von der Nebenintervenientin erstellten und dem Kläger anlässlich der Besichtigung des Objekts ausgefolgten Exposé wurde diese falsche Information nicht richtiggestellt. Unter diesen Umständen war vom Kläger nicht zu erwarten, dass er sein - (auch) mit befürchteter „Kontaminierung“ festgestelltes - Interesse an einem bestimmten Alter des Gebäudes besonders kundtat oder selbständig Nachforschungen darüber anstellte. Die Nebenintervenientin musste vielmehr (dem Beklagten zurechenbar) damit rechnen, dass der Kläger, soweit es zu keiner mündlichen Erörterung einzelner Vertragspunkte kam, auf die sowohl öffentlich (Inserat) als auch ihm persönlich (Exposé) mitgeteilte Beschreibung des Kaufobjekts vertraute und auf der Grundlage dieses Vertrauens kontrahieren wollte. Ein bloßer Irrtum über den Wert der Wohnung lag nach den Feststellungen nicht vor. Die Fehlvorstellung des Klägers über das Alter des Gebäudes betraf eine Sacheigenschaft, mit der regelmäßig eine bestimmte Beschaffenheit der darin gelegenen Wohnungen verbunden wird, somit den Vertragsgegenstand selbst. Das bedeutet, dass der Kläger in diesem Punkt einem beachtlichen Geschäftsirrtum unterlag, der durch die Nebenintervenientin durch aktives Tun veranlasst wurde.

 

Dieser Beurteilung steht auch die Entscheidung 3 Ob 13/07v nicht entgegen, der ebenfalls ein Irrtum des Erwerbers einer Eigentumswohnung über das Alter des Gebäudes zugrunde lag. Im damaligen Anlassfall beruhte die irrige Fehlvorstellung des Erwerbers, der zuvor schon Mieter der Wohnung war, allerdings nicht auf Äußerungen im Zuge der Verhandlungen über den Kaufvertrag, sondern auf einer in den Mietverträgen (zwecks Begründung der angeblichen Zulässigkeit freier Mietzinsbildung) enthaltenen Fehlinformation. In diesem Fall kam die Berücksichtigung als Geschäftsirrtum nicht in Betracht. Der Irrtum des Erwerbers wurde daher als solcher über einen Wertfaktor (freie Mietzinsbildung), demnach als Motivirrtum qualifiziert, der wegen einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten aber dennoch zur (aus anderen Gründen letztlich gescheiterten) Irrtumsanfechtung berechtigt hätte. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor.

 

Im Inserat und im Exposé der Nebenintervenientin wurden die monatlichen „Betriebskosten“ (bzw „Nebenkosten“) mit einem bestimmten, auf einer Information der Hausverwaltung beruhenden Betrag angeführt. Im Exposé wurde überdies das Bestehen eines „Reparaturfonds“ (zu diesem Zeitpunkt bereits objektiv tatsachenwidrig) verneint. Des Weiteren unterblieb ein Hinweis auf die gesonderte Verrechnung der (in den „Betriebskosten“ daher nicht enthaltenen) Kanal-, Wasser- und Müllgebühr. Die Nebenintervenientin legte dem Kläger gegenüber allerdings offen, ihm über die „Details“ der Betriebskosten keine Auskunft geben zu können. Sie empfahl ihm, sich darüber bei der Hausverwaltung zu erkundigen, was der Kläger jedoch unterließ.

 

Unter diesen Umständen ist jedoch davon auszugehen, dass ein allfälliger Geschäftsirrtum des Klägers von der Nebenintervenientin nicht veranlasst war:

 

Nach hA genügt zur „Veranlassung“ eines Irrtums ein adäquat ursächliches Verhalten des anderen. Absichtliche oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt; ob dem Irrenden sein Irrtum selbst hätte auffallen müssen, ist für die Irrtumsanfechtung grundsätzlich belanglos.

 

Der OGH sprach aber auch bereits in mehreren Fällen aus, dass ganz offensichtlich unrichtige Angaben eines Vertragspartners, deren Überprüfung dem anderen Teil offen stand und leicht möglich war, nicht als zur Täuschung geeignete Irreführungshandlungen angesehen werden können. Hat sie der Erklärungsempfänger dennoch als wahr hingenommen, ist sein Irrtum als nicht durch den anderen Teil veranlasst anzusehen.

 

Im vorliegenden Fall wurden die Angaben über die Betriebs- bzw Nebenkosten durch die Empfehlung der Nebenintervenientin, sich wegen der Details bei der Hausverwaltung zu erkundigen, entscheidend relativiert. Der Kläger konnte diese Empfehlung redlicherweise nur dahin verstehen, dass es sich bei den im Inserat und im Exposé aufscheinenden „Betriebskosten“ nur um den von der Hausverwaltung an die Nebenintervenientin weitergegebenen Betrag der monatlichen Vorschreibung für einen bestimmten Stichtag (jenen der Anfrage), somit allenfalls um einen Richtwert, nicht aber um eine verlässliche oder gar verbindliche Auskunft über die zu erwartende Höhe der künftigen monatlichen Kostenbelastung handelte. Ist doch als allgemein bekannt vorauszusetzen, dass die Höhe der Aufwendungen für eine Liegenschaft häufig Änderungen unterworfen ist, va wenn - wie der Kläger wusste -  größere Sanierungsarbeiten geplant sind und unmittelbar bevorstehen. Unter diesen Voraussetzungen durfte der Kläger schon im Zeitpunkt der Unterfertigung des Vertragsanbots auf die Richtigkeit der angegebenen Betriebskostenhöhe nicht mehr vertrauen. Indem er der Empfehlung der Nebenintervenientin nicht folgte, begab er sich der Möglichkeit, auf einfache Weise - er holte bei der Hausverwaltung ja auch Informationen über die bevorstehenden Sanierungsmaßnahmen und den damit verbundenen Kostenaufwand ein - die bei Vertragsabschluss aktuelle Höhe der monatlichen Kostenbelastung in Erfahrung zu bringen. Die Nebenintervenientin hat somit weder einen Geschäftsirrtum des Klägers veranlasst, noch ist ihr die dem Beklagten zurechenbare Verletzung einer allfälligen Aufklärungspflicht (§ 871 Abs 2 ABGB) vorwerfbar.