21.01.2010 Strafrecht

OGH: Zu Fragen der Sperrwirkung des Art 54 des Übereinkommens von Schengen - Verbot der Doppelbestrafung

Auch wenn Art 54 SDÜ zur Zeit des amtlichen Einschreitens im einschreitenden Mitgliedstaat noch nicht galt, ist diese Norm dennoch anwendbar, wenn sie zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in den relevanten Mitgliedstaaten in Geltung stand; Art 54 SDÜ entfaltet im Hinblick auf eine Verfahrenseinstellung dann keine Sperrwirkung (ne bis in idem), wenn die Verfahrenseinstellung nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem diese erfolgte, kein Hindernis für eine neue Strafverfolgung wegen derselben Tat darstellt


Schlagworte: ne bis in idem, Übereinkommen von Schengen, Freizügigkeit, Verfahrenseinstellung
Gesetze:

Art 54 SDÜ

GZ 13 Os 19/08f, 15.10.2009

Der Beschuldigte wurde in Großbritannien von Beamten der Zollbehörde zur Verfolgung von Zoll- und Verbrauchsteuerfällen festgenommen, deren Entscheidung über seine Freilassung gegen Kaution einer weiteren Strafverfolgung nach britischem Recht nicht entgegengestanden wäre; das britische Zoll- und Verbrauchsteuerverfahren wurde mangels Beweisen eingestellt. Im Zeitpunkt des amtlichen Einschreitens in GB stand Art 54 SDÜ noch nicht in Geltung. Die Bestimmung galt jedoch im Zeitpunkt der Fällung des inländischen Urteils sowohl in GB als auch in Österreich.

OGH: Das in Art 54 SDÜ niedergelegte Verbot der Doppelbestrafung soll verhindern, dass eine Person, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat im Hoheitsgebiet mehrerer Vertragsstaaten verfolgt wird.

Art 54 SDÜ ist als mögliches Verfolgungshindernis beachtlich, weil die Norm zum Zeitpunkt der inländischen Urteilsfällung in den relevanten Mitgliedstaaten in Geltung stand. Die gegen den Beschuldigten in GB geführte Untersuchung ist, was die Frage nach einer Sperrwirkung iSd Art 54 SDÜ betrifft, nicht anders zu beurteilen als die polizeiliche Tätigkeit in der jüngst vom EuGH entschiedenen Sache Turanský, C-491/07 (die slowakische Polizeibehörde hatte das Strafverfahrens durch Anordnung des Ruhens des Verfahrens ohne weitere Sanktion nach meritorischer Prüfung beendet). Dieser Entscheidung zufolge ist Art 54 SDÜ nicht auf eine Entscheidung anwendbar, mit der eine Behörde eines Vertragsstaats nach sachlicher Prüfung des Sachverhalts die Strafverfolgung einstellt, sofern diese Einstellungsentscheidung nach dem nationalen Recht dieses Staates die Strafklage nicht endgültig verbraucht und damit in diesem Staat kein Hindernis für eine erneute Strafverfolgung wegen derselben Tat bildet.