06.05.2010 Strafrecht

OGH: Zur Frage, ob Vertreter von Haftungsbeteiligten die Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO beantragen können

§ 363b Abs 2 Z 1 StPO muss analog auf Vertreter von Haftungsbeteiligten ausgedehnt werden, weil andernfalls, wie schon aus der Tatsache erhellt, dass ihnen die selben Rechte zustehen wie dem Angeklagten, eine planwidrige Lücke entstünde


Schlagworte: Erneuerung des Strafverfahrens, Antrag, Vertreter, Haftungsbeteiligte
Gesetze:

§ 363a StPO, § 363b StPO, § 64 StPO, § 73 StPO

GZ 11 Os 119/09y, 02.03.2010

OGH: § 363a StPO ermöglicht die Erneuerung eines Strafverfahrens, wenn in einem Urteil des EGMR eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt wird. Das Verfahren ist auf Antrag zu erneuern, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.

In gefestigter Rechtsprechung bejaht der OGH die Möglichkeit der Erneuerung eines Verfahrens auch dann, wenn er selbst aufgrund eines Antrags eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts feststellt. Das Vorliegen einer Entscheidung des EGMR ist daher nicht zwingend Voraussetzung für einen Antrag nach § 363a StPO. Neben die Betroffenheit (§ 363a Abs 1 StPO) von einer Konventionsverletzung tritt als Erfordernis der Zulässigkeit in formeller Hinsicht, dass ein entsprechender Antrag von einem Verteidiger (§ 363b Abs 2 Z 1 StPO) unterschrieben sein muss.

Der Begriff des Verteidigers ist in § 48 StPO definiert und betrifft Angeklagte (Verurteilte) und diesen gesetzlich gleichgestellte Beteiligte, wie etwa Betroffene nach § 21 Abs 1 StGB und die Gruppe der Antragsgegner nach dem MedienG. Haftungsbeteiligte, somit Personen, die nach § 64 Abs 1 StPO, ohne selbst angeklagt zu sein, - ua - von der Abschöpfung der Bereicherung oder vom Verfall bedroht sind, haben in der Hauptverhandlung und im Rechtsmittelverfahren, soweit es sich um die Entscheidung über diese vermögensrechtlichen Anordnungen handelt, die Rechte des Angeklagten. Zwar können sich diese, wenn sie die Sache nicht selbst führen, eines Vertreters (§ 73 StPO) bedienen, haben daher keinen Verteidiger, doch muss § 363b Abs 2 Z 1 StPO analog auf Vertreter von Haftungsbeteiligten ausgedehnt werden, weil andernfalls, wie schon aus der Tatsache erhellt, dass ihnen die selben Rechte zustehen wie dem Angeklagten, eine planwidrige Lücke entstünde.