20.05.2010 Strafrecht

OGH: Entscheidung, ob Zeuge ein Entschlagungsrecht zukommt in Beschlussform? Beschwerderecht des Zeugen?

Dass das Gericht im (konsequenterweise dann wohl: jedem) Fall einer Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung mit (von den Fällen des § 86 Abs 3 erster Satz StPO abgesehen jeweils begründet auszufertigendem, zuzustellendem und vom Zeugen mit Beschwerde anfechtbarem) Beschluss darüber zu entscheiden habe, ob dem Zeugen ein Entschlagungsrecht zukommt oder nicht, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen


Schlagworte: Zeuge, Entschlagungsrecht, Information, Beschluss, Beschwerderecht
Gesetze:

§ 157 StPO, § 159 StPO, § 86 StPO, § 87 StPO, § 238 Abs 2 StPO

GZ 15 Os 184/09m, 17.03.2010

In der Hauptverhandlung vom 11. Mai 2009 wurde die Zeugin Mag Michaela Gr***** "über das Entschlagungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung" belehrt, woraufhin sie erklärte, über Empfehlung ihres Rechtsvertreters von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch machen zu wollen. Darauf entgegnete der Einzelrichter, im Umfang ihrer bisherigen Aussagen stehe ihr kein Entschlagungsrecht zu, und verkündete "über Antrag der Verteidiger" den Beschluss: "Der Zeugin wird kein Entschlagungsrecht wegen Gefahr der Selbstbelastung nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO eingeräumt".

OGH: Gem § 35 Abs 2 StPO entscheiden die Gerichte mit Beschluss, soweit sie nicht bloß eine auf den Fortgang des Verfahrens oder die Bekanntmachung einer gerichtlichen Entscheidung gerichtete Verfügung erlassen. In der Hauptverhandlung entscheidet das Schöffengericht überdies immer dann mit Beschluss (also auch hinsichtlich bloß den Fortgang des Verfahrens betreffender Umstände), wenn darüber widerstreitende Anträge der Beteiligten vorliegen oder der Vorsitzende einem unbestrittenen Antrag eines Beteiligten nicht Folge zu geben gedenkt (§ 238 Abs 2 StPO).

Über die Befreiung eines Zeugen von der Aussagepflicht oder sein Recht auf Verweigerung der gesamten oder eines Teils der Aussage hat der Vorsitzende den Zeugen nach dem klaren Wortlaut des § 159 Abs 1 StPO (lediglich) zu "informieren". Demnach stellt die dieser Information zugrunde liegende richterliche Disposition bloß eine auf den Fortgang des Verfahrens gerichtete Verfügung dar. Dies gilt vergleichsweise auch für die Zulassung oder Nichtzulassung von Fragen an Zeugen (§ 249 StPO), für die Gestattung oder Nichtgestattung der Wahrung der Anonymität des Zeugen (§ 162 StPO), für die Vernehmung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten (§ 250 Abs 1 StPO), oder die Verlesung von Aussagen des sich unberechtigt der Aussage entschlagenden Zeugen (§ 252 Abs 1 Z 3 StPO), ja sogar für Maßnahmen der Sitzungspolizei. Eine formelle Beschlussfassung sieht das Gesetz in all diesen Fällen nur dann vor, wenn zu dieser Frage ein Antrag eines Beteiligten gestellt wird (§ 238 Abs 2 StPO).

Dass das Gericht im (konsequenterweise dann wohl: jedem) Fall einer Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung mit (von den Fällen des § 86 Abs 3 erster Satz StPO abgesehen jeweils begründet auszufertigendem, zuzustellendem und vom Zeugen mit Beschwerde anfechtbarem) Beschluss darüber zu entscheiden habe, ob dem Zeugen ein Entschlagungsrecht zukommt oder nicht, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Den Bestimmungen über die Hauptverhandlung vorangestellt definiert die Prozessordnung in § 220 StPO, wem in der Hauptverhandlung die Rolle eines "Beteiligten", also eines an der Strafsache Mitwirkenden oder von ihr Betroffenen zukommt und gibt in Zusammenhang mit § 238 StPO klar zu erkennen, dass selbst diese Personen nur in eingeschränktem Maß - jeweils abhängig vom Urteil - sie beschwerende Zwischenentscheidungen bekämpfen können. Dass in diesem Sinn "Unbeteiligten" weitergehende - uU in die Hauptsache eingreifende, verfahrensverzögernde und die Rechte der Beteiligten tangierende - Rechtsmittelmöglichkeiten zukommen sollten, entspricht somit nicht dem Willen des Gesetzgebers. Das Fehlen einer Anfechtungsmöglichkeit für Dritte ergibt sich auch bereits aus dem in § 238 Abs 3 letzter Satz StPO enthaltenen ausdrücklichen Verweis auf § 86 Abs 3 StPO, wonach - entgegen der allgemeinen Regelung des § 86 Abs 2 StPO - bei solchen in der Hauptverhandlung verkündeten Beschlüssen bereits deren Ausfertigung und Zustellung zu unterbleiben haben. Denn gäbe es ein Beschwerderecht Dritter gegen Beschlüsse iSd § 238 Abs 3 StPO hätte § 86 Abs 3 letzter Fall StPO keinen Anwendungsbereich. Für Zeugen kann auch aus der (ungeachtet § 87 StPO vom Gesetzgeber mittels Neuregelung [BGBl I 2007/93] geschaffenen) expliziten Ausnahmeregelung des § 243 Abs 1 StPO geschlossen werden, dass ihnen in allen anderen Belangen in der Hauptverhandlung kein Beschwerderecht zusteht.

Ein Beschwerderecht eines Zeugen gegen eine Beweisaufnahme hätte überdies im Schöffenverfahren die systemwidrige Konsequenz, dass deren Rechtmäßigkeit zum einen vom OLG im Beschwerdeverfahren, zum anderen aber auch vom OGH im Rahmen einer parallelen Anfechtung auch durch einen Beteiligten im Wege des § 281 Abs 1 Z 4 StPO zu prüfen wäre, und beide Rechtsmittelgerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen könnten, zumal im Beschwerdeverfahren - anders als im Nichtigkeitsverfahren - kein Neuerungsverbot besteht.

Richterliche Dispositionen über die Gewährung oder Nichtgewährung des Entschlagungsrechts eines Zeugen in der Hauptverhandlung haben daher auch seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes und des Strafprozessreformbegleitgesetzes I grundsätzlich nicht in Beschlussform zu ergehen. Nur über Antrag eines Beteiligten (wie hier: beider Angeklagter durch ihre Verteidiger, die erkennbar wie die Zeugin die Einräumung des Entschlagungsrechts begehrten) erfolgt darüber eine formelle Beschlussfassung gem § 238 StPO. Im einen wie im anderen Fall hat die Entscheidung über das Entschlagungsrecht jedoch keine Rechtsbelehrung zu enthalten und ist weder auszufertigen noch zuzustellen. Ein abgesondertes Rechtsmittel des Zeugen dagegen ist ebenfalls nicht zulässig.