16.09.2010 Strafrecht

OGH: Unschuldsvermutung gem Art 6 Abs 2 EMRK iZm Diversion

Nach § 198 Abs 1 StPO ist eine diversionelle Verfahrensbeendigung nur möglich, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken; derartige präventive Diversionshindernisse sind anhand einer umfassenden Fallbewertung unter Einbeziehung der Wirkung einer vom Beschuldigten erst zu erfüllenden Verpflichtung zu prüfen, wobei auch hier die Wahrung der Unschuldsvermutung besonders beachtet werden muss (so ist etwa dem Entscheidungsträger bei der Beurteilung zurückliegender Diversionserledigungen ein Rückgriff auf Tatumstände, die der ersten diversionellen Erledigung zugrunde lagen, aus diesem Grund verwehrt)


Schlagworte: Diversion, Unschuldsvermutung
Gesetze:

§ 198 StPO, § 199 StPO, Art 6 Abs 2 EMRK

GZ 14 Os 99/10f, 24.08.2010

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt L die Erneuerung des Berufungsverfahrens vor dem OLG Wien, weil dieses dem Angeklagten das "Vorliegen der Voraussetzungen der diversionellen Erledigung" verweigert habe, indem es auf das Verfahren AZ 202 St 101/08s der Staatsanwaltschaft Wien rekurriert und dabei zu verstehen gegeben habe, dass der Angeklagte die ihm damals vorgeworfenen Handlungen sicher begangen habe, jedoch nur wegen der damaligen Straflosigkeit derselben nicht verurteilt worden sei. Da von einem Schuldbeweis allerdings nur nach rechtskräftiger gerichtlicher Verurteilung auszugehen sei, habe das OLG Wien gegen die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) verstoßen.

OGH: Das Gebot der Unschuldsvermutung schützt Personen, die iZm strafrechtlichen Anklagen stehen, in verschiedener Hinsicht vor Vorverurteilungen bzw der Zuweisung von Schuld, solange nicht eine entsprechende gerichtliche Feststellung erfolgt ist. Art 6 Abs 2 EMRK verbietet in diesem Sinn ua auch Äußerungen von Gerichten im Vorfeld und während eines Strafverfahrens, wonach eine bestimmte Person eine strafbare Handlung begangen habe, noch bevor ihre Schuld festgestellt wurde.

Nach § 198 Abs 1 StPO ist eine diversionelle Verfahrensbeendigung nur möglich, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Abzustellen ist dabei auf die tat- und beschuldigtenorientierte Notwendigkeit eines verurteilenden und (bei erwachsenen Beschuldigten) mit einer Sanktion einhergehenden Erkenntnisses, die durch die diversionelle Erledigung nicht kompensierbar ist. Derartige präventive Diversionshindernisse sind anhand einer umfassenden Fallbewertung unter Einbeziehung der Wirkung einer vom Beschuldigten erst zu erfüllenden Verpflichtung zu prüfen, wobei auch hier die Wahrung der Unschuldsvermutung besonders beachtet werden muss (so ist etwa dem Entscheidungsträger bei der Beurteilung zurückliegender Diversionserledigungen ein Rückgriff auf Tatumstände, die der ersten diversionellen Erledigung zugrunde lagen, aus diesem Grund verwehrt).

Indem das OLG Wien zwar auf das Betrachten von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt vor dem 1. Juni 2009 Bezug nahm, dabei aber ausdrücklich auf das aufgrund der damaligen Gesetzeslage erfolgte Unterbleiben einer strafrechtlichen Sanktion hinwies, brachte es deutlich zum Ausdruck, dass der Erneuerungswerber dadurch gerade keine strafbare Handlung begangen hatte. Eine Schuldfeststellung war folglich damit nicht verbunden. Die Berücksichtigung dieses gesellschaftlich nicht akzeptierten, unmissverständlich nicht als strafrechtlich relevant qualifizierten - vom Erneuerungswerber im Übrigen zugestandenen - Verhaltens im Rahmen der nach §§ 198 Abs 1, 199 StPO zu treffenden Prognoseentscheidung erfolgte somit unter Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Erneuerungswerbers ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.