14.10.2010 Strafrecht

OGH: Auslieferungsersuchen und Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

Bei der Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung iSd Art 8 Abs 2 EMRK muss in Betreff des dabei anzulegenden Maßstabs im Blick behalten werden, dass den Interessen der betroffenen Person nicht (nur) - wie in Fällen der Ausweisung und Abschiebung - das öffentliche Interesse des ausweisenden Staates an der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von künftigen Straftaten, sondern (auch) dasjenige des ersuchenden Staates an der Verfolgung bereits begangener Straftaten und der Vollstreckung dafür verhängter Sanktionen gegenübersteht


Schlagworte: Auslieferungsersuchen, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung
Gesetze:

Art 8 EMRK

GZ 14 Os 87/10s, 24.08.2010

OGH: Es trifft zwar zu, dass unter bestimmten Umständen der Schutz des Familienlebens einer Ausweisung oder Abschiebung entgegenstehen kann, nämlich dann, wenn der Betroffene im Aufenthaltsstaat persönliche oder familiäre Bindungen hat, die ausreichend stark sind und durch eine Auslieferung beeinträchtigt würden. Ein Eingriff begründet dann eine Verletzung von Art 8 EMRK, wenn er nicht gesetzlich vorgesehen ist oder kein legitimes Ziel verfolgt oder nicht als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden kann.

Bei der zufolge Art 8 Abs 2 EMRK erforderlichen Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung einer solchen das Familienleben beschränkenden Maßnahme ist insbesondere darauf abzustellen, ob den im ersuchten Staat wohnenden Familienmitgliedern zugemutet werden kann, der betroffenen Person in den Heimatstaat zu folgen und sich dort niederzulassen. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn begründete Aussicht besteht, dass sich die Familie relativ rasch in die Gesellschaft des ersuchenden Staates wird integrieren können.

Auch die Auslieferung einer betroffenen Person zur Strafverfolgung oder -vollstreckung stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art 8 EMRK dar, der nur unter den Voraussetzungen des Art 8 Abs 2 EMRK zulässig ist. Bei der damit ebenso notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung muss in Betreff des dabei anzulegenden Maßstabs im Blick behalten werden, dass den Interessen der betroffenen Person nicht (nur) - wie in Fällen der Ausweisung und Abschiebung - das öffentliche Interesse des ausweisenden Staates an der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von künftigen Straftaten, sondern (auch) dasjenige des ersuchenden Staates an der Verfolgung bereits begangener Straftaten und der Vollstreckung dafür verhängter Sanktionen gegenübersteht.